Desorientale
Iran oder Persien verbinden viele mit dem Schah und dem schiitischen Regime des Ayatollah Khomeini. Welche vielfältigen politischen Kräfte es in dieser Zeit in Iran gab, löst die westliche Welt nur selten auf. In diesem autobiografischen Roman erzählt Kimiâ Sadr - als Alter Ego der Autorin - aus dem Leben ihrer Familie in Teheran während des autoritären Schah-Regimes und der Diktatur der Ayatollahs. Ihr Vater wird als Oppositioneller verfolgt, weshalb die Familie 1981 nach Frankreich flüchtet. Obwohl die Eltern im Iran ihre Liebe zu Frankreich gepflegt haben, gehen ihre Erwartungen in verschiedener Weise nicht in Erfüllung. Die Mutter verzehrt sich in Sorge um ihre Verwandten, der Vater engagiert sich im Exil für sein Heimatland und wird von iranischen Terroristen in Paris ermordet. Kimiâ sucht ihren eigenen Weg in Musik und Punk und entdeckt, dass sie Frauen liebt, was sie vor große Probleme stellt, denn ihre Kultur verabscheut Homosexuelle. Diese Familiengeschichte ist eingebettet in eine Rahmenerzählung über Kimiâs künstliche Befruchtung, denn ihrer Homosexualität zum Trotz wünscht sie sich ein Kind. Dieser Rahmen erhält seine Wirkung durch den starken Gegensatz zu vielen archaisch anmutenden Episoden aus der Familiengeschichte. Der Roman - wahrhaft orientalisch bildreich erzählt - springt zwischen den Zeiten und Orten hin und her: von Teheran nach Paris, vom Krankenhaus zum Landhaus der Großmutter. Ein sehr interessantes Buch einer starken Frau, in deren Lebensgeschichte sich die politischen Umwälzungen im Iran widerspiegeln und die Schwierigkeit, in einer anderen Kultur anzukommen, worauf auch der Titel verweist. Empfehlenswert. (Übers.: Michaela Meßner)
Ruth Titz-Weider
rezensiert für den Borromäusverein.
Desorientale
Négar Djavadi
Beck (2017)
399 S.
fest geb.