Das Lächeln meiner Mutter

Als die Mutter der Schriftstellerin Delphine de Vigan Selbstmord begeht, ist de Vigan von Liebe und Schuldgefühlen zerrissen. Um den Gründen für den Freitod ihrer Mutter auf den Grund zu gehen und ihren Tod zu verarbeiten, beginnt sie zu schreiben. Sie lässt die Geschwister über ihre Kindheit in einer turbulenten Pariser Großfamilie in den fünfziger und sechziger Jahren erzählen. Mit acht Jahren bereits bekommt Lucile ein "Bewusstsein für die Möglichkeit des Todes", als ihr Bruder Antonin in einen Brunnen stürzt und ertrinkt. In späteren Jahren gibt es eine regelrechte "Freitod-Periode", in der sich Brüder, Freunde und Cousins für den Suizid entscheiden. - Immer wieder unterbricht die Autorin den lebendigen Erzählfluss und reflektiert das Geschriebene. Sie will dem Schmerz der Mutter näher kommen und die Bruchstücke, Fragmente und Hypothesen aufschreiben, auch wenn sie Fiktion sind. Hatte sie gehofft, aus diesem Material die Wahrheit herauszuschälen? "Dieses Buch wäre vielleicht genau das, der Bericht über diese Suche, der sein eigenes Entstehen enthält, seine erzählerischen Irrwege, seine steckengebliebenen Versuche", resümiert sie. Die Autorin verwendet Tonbandaufnahmen ihres Großvaters, Super-8-Filme ihrer Sommerurlaube, einen TV-Dokumentarfilm über ihre Familie (den sie als einen Mythos entlarvt), Texte ihrer Mutter, die in manischen Phasen wiederholt in Anstalten eingewiesen wird. - Der Roman liest sich wie eine dramatische Familiengeschichte mit Tragödien, Drogen, Suiziden, Irrsinn, Inzest- und Vergewaltigungsvorwürfen. Gleichzeitig lässt die Autorin ihre Leser teilhaben an ihren Zweifeln, ob sie das alles aufschreiben darf, und an ihrem Nachdenken über die Form des soeben Geschilderten. Das macht den autobiografischen Roman der mit vielen wichtigen Preisen ausgezeichneten Autorin zu einem besonderen Leseerlebnis auch für anspruchsvolle Leser. (Übers.: Doris Heinemann)