Alles zählt

Die Diagnose ereilt sie während ihres "Mini-Sabbaticals" in New York: Ein Knoten in der Lunge, an der sie schon zweimal operiert worden war, "a visit from the past" (S. 26). Auf der Handlungsebene erwartet sie Papierkram wegen ihrer deutschen Krankenversicherung. Alles zählt Wichtiger sind die Assoziationsketten, mit welchen die belesene, namenlose Frau Zitate aus Büchern ihrer amerikanischen Lieblingsautoren mit Erinnerungen an ihre Familie verbindet. Und immer ist der Tod das Thema. Sie bedauert, dass der Vater ihr keine bleibenden Sätze hinterlassen hatte, als er starb. Umso inniger war ihr Verhältnis zur Mutter, die jede Behandlung abgelehnt hatte, als bei ihr ein Geschwür herangewachsen war. Zusammen hatten sie die verbleibende Zeit genossen und waren dankbar gewesen für die vielen letzten Dinge, die sie noch gemeinsam erleben konnten. "Ich werde dich tragen, auch wenn ich nicht mehr bin" (S. 45), an diesen Satz hatte sie nach dem Tod der Mutter oft gedacht, wie auch jetzt, bevor sie ins Krankenhaus geht. Die Operation gelingt, die Schmerztherapie ist schwierig. Nachdem sie sich aus den Drogen herausgeschlichen hat, fliegt sie nach Myanmar, um dort den Masseur wiederzusehen, der damals "etwas in ihr zum Klingen gebracht hatte" (S. 163). - Verena Lueken, lange Jahre Kulturkorrespondentin der FAZ in New York, hat trotz des schweren Themas kein deprimierendes Buch geschrieben. In einem schwebenden, leicht wehmütigen Ton macht sie Mut, die Gedanken an das Sterben zuzulassen.

Karin Blank

Karin Blank

rezensiert für den Borromäusverein.

Alles zählt

Alles zählt

Verena Lueken
Kiepenheuer & Witsch (2015)

204 S.
fest geb.

MedienNr.: 795520
ISBN 978-3-462-04797-4
9783462047974
ca. 18,99 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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