Das dreizehnte Kapitel

Auf einem Staatsbankett lernt der in die Jahre gekommene Autor Basil Schlupp die Theologin Maja Schneilin kennen, deren Ehemann, ein namhafter Physiker, auf gerade jener Veranstaltung gefeiert wird. Auf den ersten Blick verliebt sich Schlupp in die Das dreizehnte Kapitel kühl wirkende Theologin, die in seinen Augen unvergleichlich ist. Da sich bei dem offiziellen Anlass keine Möglichkeit für eine private Kontaktaufnahme bietet, eröffnet der von seinen Gefühlen überwältigte Autor einen Briefwechsel. Schlupp macht aus seiner Verfassung keinen Hehl, und Maja, die zunächst recht sachlich, jedoch von solch ungeschminkter Offenheit wohl berührt, antwortet, öffnet sich peu à peu. Zwischen dem so ungleichen, beiderseits verheirateten Paar entwickelt sich ein Dialog, der allmählich jede Fassade zum Bröckeln bringt und die Realität der jeweiligen Beziehung zu den Gatten und der eigenen Befindlichkeit offenlegt, wie es scheinbar nur in dieser Metawirklichkeit, die keine Berührungspunkte mit dem Lebensalltag hat, möglich ist. In ihren Briefen retten sich beide in eine Welt, die der Wirklichkeit nicht gefährlich werden kann, und beschreiben ihre tiefsten Lebenserfahrungen. In der Zeit des Briefeschreibens werden beide jedoch von ihren Partnern so existenziell berührt, dass von Schneilins Seite der Briefkontakt unwiederbringlich abgebrochen wird. - Der in glühender Leidenschaft sich ausdrückende Schlupp ist in seiner Hilflosigkeit zu bemitleiden, was vom Autor wohl eher nicht beabsichtigt ist. Die Charakterzeichnung des drängenden Mannes, der sich selbst etwas vormacht, und der reservierten weiblichen Seite, die sich langsamer und schonungsloser öffnet, ist leider zu plakativ und mit zu wenig künstlerischer Distanz geschaffen. Das Konzept des Briefromans, das den Leser mitleben und -denken lässt und bis zur letzten Seite auf hohem (etwas gewolltem) stilistischen Niveau Spannung bietet, geht voll auf. Für alle Bestände.

Christine Vornehm

Christine Vornehm

rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

Das dreizehnte Kapitel

Das dreizehnte Kapitel

Martin Walser
Rowohlt (2012)

270 S.
fest geb.

MedienNr.: 364678
ISBN 978-3-498-07382-4
9783498073824
ca. 19,95 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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