Die Geschichte des verlorenen Kindes

Natürlich muss man diesen vierten Band über das Leben der beiden so unterschiedlichen Freundinnen Elena und Lina lesen, wenn man die anderen mochte. Sie haben beide die Hälfte ihres Lebens noch vor sich, ihre reifen Jahre. Lenu ist zurück in Neapel, Die Geschichte des verlorenen Kindes sie und Lila bekommen gleichzeitig jede noch eine Tochter. Diese Kinder wachsen miteinander auf, beinahe wie Geschwister. Die Beziehung mit der Kindheitsliebe Nino, dessentwegen Lenu nach Neapel zurückgekehrt ist, erfährt exakt zur Hälfte des Romans eine abrupte Wendung. Verantwortung steht nun im Mittelpunkt ihrer Leben, für die Kinder, für nahestehende Menschen wie Lenus alternde Mutter, berufliche Verpflichtungen. Die Verbindung der Freundinnen lebt auf, sie wohnen schließlich sogar im gleichen Haus, sind sich sehr nah. Beide sind auf ihre Weise erfolgreich. Lenu kann sich endgültig als Schriftstellerin und Kolumnistin etablieren, Lila scheint die neue graue Eminenz im Rione zu sein, mit ihrer Computerfirma, die vielen aus dem Viertel ein Einkommen verschafft. Die dunklen Seiten ihres Charakters scheinen gebannt und auch die dunklen Kräfte der Solaras im Zaum gehalten. Doch das plötzliche Verschwinden ihres Kindes höhlt Lila von innen her aus, bis hin zu jener Selbstauflösung, die ganz am Beginn der Tetralogie im Vorgriff geschildert ist. - Leider bleibt vieles in diesem Band nur Kulisse, die Verbrechen der Mafia, die politischen Erschütterungen Italiens erreichen den Leser aus Lenus Perspektive zu distanziert und abstrakt. Vieles wird lediglich erwähnt, nicht erzählt, vieles mit den immer gleichen Worten aufgegriffen und bleibt daher blass. Doch bietet diese Geschichte immer noch genug, was im Gedächtnis bleibt, auch einige überraschende Entwicklungen von Nebenfiguren. Und die Grundidee, die Nöte und Entwicklungen eines Viertels erzählerisch an zwei unterschiedlichen Frauen, den beiden genialen Freundinnen Lila und Lenu aufzuhängen, trägt bis zuletzt. (Übers.: Karin Krieger)

Gabie Hafner

Gabie Hafner

rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

Die Geschichte des verlorenen Kindes

Die Geschichte des verlorenen Kindes

Elena Ferrante
Suhrkamp (2018)

Neapolitanische Saga ; 4
614 S.
fest geb.

MedienNr.: 849641
ISBN 978-3-518-42576-3
9783518425763
ca. 25,00 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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