Ein Mann, der fällt

30 Jahre begleitet die Ich-Erzählerin ihren Lebensgefährten und beobachtet zugleich die Veränderungen in einem Mietshaus in Charlottenburg von etwa 1986 bis heute. Das Paar will die gemeinsame Wohnung einrichten, als er bei Renovierungsarbeiten Ein Mann, der fällt von einer Leiter stürzt und eine schwere Verletzung der Wirbelsäule davonträgt. So handeln die ersten Kapitel davon, wie er unter großen Anstrengungen über das Rollbett zum Rollstuhl und dann doch zum mühsamen Gehen an Krücken kommt. In diese Schilderungen hinein reflektiert die Erzählerin Vergleiche mit früher, mit dem Mann, der sehr gerne und sehr geschmeidig lief. Stadterneuerung ist sein Arbeitsgebiet; er ist gefragt nach der Wende, aber sein Handicap macht es ihm schier unmöglich, selbst Baustellen zu betreten. In den letzten Kapiteln nehmen die Schilderungen der Nachbarschaft mehr Raum ein. Das ursprünglich zwar multikulturelle, aber recht bürgerliche Quartier verändert sich stark, nicht zuletzt wegen Wohnungssanierungen und Umwandlung in Eigentumswohnungen. Auch die organisierte Kriminalität hält Einzug. Vieles nimmt die Ich-Erzählerin hin, beschreibt es nur, urteilt aber kaum darüber. Auch verfällt sie nie in Zweifel, ob sie ihren Mann etwa verlassen solle. Das Wort Liebe fällt nirgends und doch spürt der Leser, wie es das ganze Buch durchzieht. Die Ich-Erzählerin begegnet auch den immer ungewöhnlicheren Mitbewohnern mit freundlich-nachbarschaftlichem Interesse. Trotz des Titels steht sie und ihr Erleben im Mittelpunkt des sehr lesenswerten Romans.

Pauline Lindner

Pauline Lindner

rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

Ein Mann, der fällt

Ein Mann, der fällt

Ulrike Edschmid
Suhrkamp (2017)

187 S.
fest geb.

MedienNr.: 589828
ISBN 978-3-518-42581-7
9783518425817
ca. 20,00 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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