6 Uhr 41

Im Vorortzug nach Paris. Der Zufall macht Cécile Duffaut und Philippe Leduc zu Sitznachbarn. Sie sind beide Ende 40, kommen aus derselben Kleinstadt in der Champagne - und waren vor 27 Jahren für wenige Monate ein Paar. Eine Demütigung, ein im Grunde 6 Uhr 41 unverzeihlicher faux pas von Philippe hat dem jungen Glück damals ein Ende gesetzt. Das liegt nun ein halbes Leben zurück, in dem man sich erfolgreich aus dem Weg gegangen ist. Beide haben sich eingerichtet, die Neu-Unternehmerin Cécile augenscheinlich mit mehr Erfolg als der Fernsehverkäufer Philippe, der in der Provinz hängengeblieben ist. Blondels schmaler Roman bezieht seine Raffinesse aus der Situation: Cécile und Philippe sitzen schweigend nebeneinander, rätseln, ob der andere sie wohl erkennt, lassen ihr Leben im Kopf Revue passieren. Und stellen sich immer wieder die eine große Frage: Soll man den Sitznachbarn ansprechen? 95 Minuten dauert die Fahrt zum Pariser Gare de l'Est, und das ist auch exakt die Erzählzeit des Romans. Blondels Sprache ist sicher keine große Prosa. Die Stärke des Romans liegt vielmehr in der Spannung, die der Text bis zum letzten Satz hält. Nebenbei erzählt Blondel, der seine Figuren mit viel Sympathie zeichnet, auch die Geschichte einer Sandwichgeneration: eingeklemmt zwischen den ins Leben tretenden Kindern (denen sie immer fremder werden) und den mehr und mehr auf Hilfe angewiesenen Eltern. Eine ebenso unterhaltsame wie anregende Lektüre. (Übers.: Anne Braun)

6 Uhr 41

6 Uhr 41

Jean-Philippe Blondel
Deuticke (2014)

188 S.
fest geb.

MedienNr.: 408158
ISBN 978-3-552-06255-9
9783552062559
ca. 16,90 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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