Das Lächeln der Alligatoren
Der 15-jährige Matthias besucht mit seiner Mutter an der Nordsee seinen jüngeren Bruder, der als Autist in seiner eigenen Welt lebt und in einem Heim untergebracht ist. Auf sich allein gestellt, da sich die Mutter ihrer Verantwortung entzieht, verbringt Matthias die Zeit damit, der Pflegerin Marta nachzustellen und verschämt Kontakt zu dieser aufzubauen. Nach wenigen Jahren des Heranwachsens und der Verdrängung familiärer Disharmonien (die Mutter ist verstorben, der Vater hat eine neue Familie gegründet und der Onkel nimmt sich seiner an) trifft Matthias an der Universität Berlin wieder auf Marta. Die unabhängige, couragierte junge Frau zeigt nun endlich Interesse für den Studenten und Matthias taucht in eine ihm völlig unbekannte Welt der Unabhängigkeit am Rande der Legalität ein. Erst allmählich wird ihm bewusst, dass Marta einer linksradikalen terroristischen Gruppe angehört, deren Zielscheibe auch sein Ziehvater ist, der im Dritten Reich schuldig wurde, wovon Matthias nichts wusste. Die Handlung mündet in eine Katastrophe, um dann wieder in einer nun vermeintlichen Normalität zu spielen. Die zwingend wechselhafte psychische Verfassung der Hauptfigur spiegelt sich sehr wirkungsvoll in wechselnden Erzählperspektiven. Spannend, ohne reißerisch zu sein, erzählt Wildenhain von menschlichen Abgründen und davon, dass es nicht möglich ist, Personen in Gut oder Schlecht einzuteilen. Das Spiel mit Sympathien, die dann jäh bestraft werden, gelingt dem Autor meisterhaft. Die moralische Frage nach Selbstjustiz will er nicht für den Leser beantworten, sondern ihn den Dilemmata des Lebens und der Verantwortung dem Menschen gegenüber ausgesetzt wissen. Sehr besonders.
Christine Vornehm
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Das Lächeln der Alligatoren
Michael Wildenhain
Klett-Cotta (2015)
241 S.
fest geb.