Apollokalypse

Berlin vor dem Fall der Mauer: ein schwarzes Loch, tote Nächte, ein Kreuzberg der auf dem Boden liegenden Matratzen und gardinenlosen Fenster. Berlin nach dem Fall der Mauer: ein im Osten dank Geldmangels bewahrtes Stück jüngster deutscher Vergangenheit, Apollokalypse das der nun triumphierende Kapitalismus zu renovieren beginnt. Die Stadt wird durch die Lichter des Westens in ein Zerrbild verwandelt, alte Möbel türmen sich an den Straßen, sogar die Erinnerungen schluckt der Sperrmüll. Haufenweise gehen Künstlerexistenzen in die Brüche. In diesem Szenario finden sich Georg Autenrieth und seine Freunde Dirk Pruy und Heinrich Büttner. Der in Nürnberg aufgewachsene Literat Autenrieth, ein ausgeprägter Narzisst mit Hang zum Doppelleben, hält Kontakt mit den Freaks und Junkies in der Kreuzberger Szene, hat Verbindungen zum linken Untergrund und wird sogar in Aktivitäten von Stasi und RAF verwickelt. Pruy, stets elegant gekleideter Sohn einer gut betuchten Münchner Unternehmerfamilie, übt sich vorwiegend im Müßiggang, hat keine Aufgabe und blickt daher voller Qual auf die Überflüssigkeit seiner eigenen Existenz. Büttner hat sich als Kunstmaler durchaus einen Namen gemacht, steht aber immer kurz vor dem Durchdrehen und wirft sich irgendwann einmal auch vor einen Zug. Und so durchsucht jeder der drei Freunde die Stadt, zelebriert gierig Laster, Lebensgier und Liebeskunst und landet schließlich auf einem Höllentrip zwischen Wahnsinn, Trostlosigkeit und Verzweiflung. - Der Essayist, Übersetzer und Lyriker Gerhard Falkner erweist sich in seinem ersten Roman als ein genialer Erzähler, der unterhaltsam, humorvoll und mit virtuoser Sprachgewalt das Leben seiner extrovertierten Typen schildert, die Stadt Berlin um die Zeit des Mauerfalls als eine der aufregendsten Metropolen der Welt zeichnet, daneben über Gott und die Welt reflektiert und seinen Roman mit jeder Menge literarischer Anspielungen spickt. Wie nur wenige Autoren hat Falkner die Fähigkeit, unscheinbare Dinge zu erkennen, festzuhalten und dem Leser begreifbar zu machen. Seine Handlungsstränge verlaufen allerdings recht verstreut und viel sprachliche Energie wird verschwendet mit den ausufernden Beschreibungen der Bemühungen seiner Protagonisten, ihre Probleme mit dem Unterleib zu bewältigen. Insgesamt ein brillantes literarisches Werk, wegen seiner ausschweifenden sexuellen Passagen aber nur für urteilssichere und sehr tolerante Leser geeignet.

Günther Freund

Günther Freund

rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

Apollokalypse

Apollokalypse

Gerhard Falkner
Berlin Verl. (2016)

426 S. : Ill.
fest geb.

MedienNr.: 830261
ISBN 978-3-8270-1336-1
9783827013361
ca. 22,00 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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