Und alles war still
In den letzten Kriegs- und ersten Friedensmonaten nach dem Zweiten Weltkrieg kam der 1920 in Amerika geborene Sohn jüdischer Einwanderer als Militärhistoriker im Auftrag der US-Army nach Lothringen und Deutschland. Seine Beobachtungen hat er in einem Tagebuch festgehalten, das nun unter dem Titel "Und alles war still" erschienen ist. Mit scharfem Blick nimmt er die Zustände in einem zerstörten Land mit seinen verstörten Bewohnern wahr. Der 25-Jährige zeichnet bestechende Kurzporträts: die Rechtsanwältin, die jüdische Nachbarn versteckt und dank des Korpsgeists unter den deutschen Juristen dem Todesurteil entkommt; den Anführer der Freiheitsaktion Bayern, Rudolf Gerngroß, dem die US-Behörden zunächst misstrauen; die Sekretärin aus dem Elsass, die für die deutsche Wehrmacht arbeiten musste und dafür von ihren Landsleuten misshandelt und verachtet wird. Sachlich gibt Lasky die Erzählungen von KZ-Opfern wieder, die er als Offizier befragt, um seine emotionale Erschütterung nicht offenlegen zu müssen. Seine Entrüstung äußert sich aber, als er die Selbstgefälligkeit der NS-Verantwortlichen während der Nürnberger Prozesse schildert. Auch von US-Soldaten begangene Kriegsverbrechen verschweigt Lasky nicht. Sein Tagebuch schildert persönliche Eindrücke, die gleichzeitig ein allgemeines Bild der Zeit einfangen. Und natürlich beobachtet der Autor das moralische Dilemma einer Nation, die mit ihrer Schuld und ihrer Verantwortung ringt. - Durch seine genauen Beobachtungen reiht sich Melvin Laskys Tagebuch in die Reihe großer Zeugnisse der ersten Nachkriegszeit ein, das den Leser in seinen Bann schlägt.
Alois Bierl
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Und alles war still
Melvin J. Lasky
Rowohlt Berlin (2014)
490 S. : Ill.
fest geb.