Jud

Seine Lebenssituation ist prekär. Da erhält der Fotograf Titus Strings den Auftrag, einen exzentrischen Briten fotografisch bei der Weltausstellung in Brüssel 1958 zu begleiten. Im österreichischen Pavillon stoßen sie auf eine Fotografie, die Jud einen Jungen zeigt, der gezwungenermaßen das Wort "Jud" an eine Hauswand schreibt: der Ich-Erzähler. Er macht sich auf den Weg in seine Geburtsstadt und findet heraus, wer der Mann war, der ihn damals dazu zwang: ein eigenbrötlerischer Schubertfan, der seinen Lebensabend in der abgeschiedensten Ecke des Landes nahe dem Eisernen Vorhang verbringt. Die Lebensweise der skurril geschilderten Einheimischen nutzt Strings, um den ehemaligen Lehrer zur Rede zu stellen. - Der Roman arbeitet gewissermaßen mit einer doppelten Retroperspektive, denn die Zeit der Suche in Wien und Umgebung liegt auch schon 60 Jahre zurück. Durch die Gestaltung der auftretenden Personen, die reichlich Ecken und Kanten haben, schafft der Autor eine ironische Distanz, befriedigt zum Teil aber auch tradierte Klischees wie eben Exzentriker aus der britischen Oberschicht oder Landpomeranzen, die sich schon über das Fernsehtestbild freuen. Damit verhindert er ein bedingungsloses Mitfühlen, wie es nicht selten Bücher über die Zeit des Nationalsozialismus und die Leiden seiner Opfer einfordern. Thiels Umgang mit dem Thema ist ansprechend für die Generation der erst nach den geschilderten Zeitabschnitten Aufgewachsenen.

Pauline Lindner

Pauline Lindner

rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

Jud

Jud

Georg Thiel
Braumüller (2018)

220 S. : Ill.
fest geb.

MedienNr.: 883148
ISBN 978-3-99200-199-6
9783992001996
ca. 22,00 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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