Ein stiller Junge, der über den Tod nachgrübelt, und ein aufgedrehtes Mädchen, das seinen fremden Vater bezirzen will, freunden sich während der Sommerferien miteinander an.
Eine Kritik von Esther Buss
Ferien, Sonne, Strand. Der kleine Sam sollte die Seele baumeln lassen, wie man so schön sagt. Doch ausgerechnet im Familienurlaub auf der niederländischen Insel Terschelling überkommt ihn die Erkenntnis von der Endlichkeit allen Lebens. „Alle Tiere und alle Menschen müssen eines Tages sterben, auch Papa, Mama, Jorre“. Sam ist ganz fixiert auf seine Endlichkeitsgedanken; er fragt sich, ob die letzten Dinosaurier wussten, dass sie bald sterben werden, und schaufelt am Strand schon mal probeweise ein Grab. In dieses fällt ausgerechnet sein älterer Bruder Jorre und bricht sich das Bein. „Meine Ferien haben schon komisch angefangen, und das ist erst der Anfang“.
Mit List & immer neuen Vorschlägen
Mit der quirligen Tess trifft Sam ein Mädchen mit ebenfalls außergewöhnlichen Interessen. Sie beschäftigt sich mit Zebrafischen, spielt Keyboard und lernt Salsa tanzen. Das alles, um, wie sich bald herausstellt, ihren Vater zu beeindrucken, den sie über Facebook ausfindig gemacht hat. Der weiß noch gar nicht, dass er überhaupt eine Tochter hat. Tess lockt ihn mit einer List auf die Insel, um ihn näher kennenzulernen. Sam soll ihr dabei helfen. Doch der Vater, der mit seiner Freundin angereist ist, zeigt zunächst nicht das geringste Interesse an dem aufdringlichen Mädchen, das mit immer neuen Freizeitvorschlägen vor der Tür der Ferienwohnung steht.
„Meine wunderbar seltsame Woche mit Tess“ verpackt ernste Themen – die Beschäftigung mit dem Tod, die Suche nach dem Vater – in eine bunte und lebhafte Feriengeschichte. Sam kommen bei seinem ehrgeizigen Vorhaben, sich auf all die bevorstehenden Abschiede und den damit verbundenen Schmerz mittels eines „Alleinheitstrainings“ vorzubereiten, schon bald die Gegenwart in die Quere, die er mit Tess erlebt. „Sterben ist doof“, sagt seine neue Freundin und stürzt sich mit Verve darauf, sich ihrem Vater anzunähern. Derweil harrt Sam vier Stunden täglich allein in den Dünen aus und knabbert einsam an seiner Stulle – mit sehnsüchtigem Blick auf den Uhrzeiger. Bei einem seiner Trainings macht er die Bekanntschaft eines schratigen alten Einsiedlers, der von der Welt abgeschieden in einer Hütte am Strand haust und nur noch in seinen Erinnerungen lebt. Sam gibt er den Rat, möglichst viele Erinnerungen zu sammeln.
Zuwendung zur gelebten Erfahrung
Nach der gleichnamigen Buchvorlage von Anna Woltz erzählt Regisseur Steven Wouterlood in seinem Kinodebüt von einer ungewöhnlichen Ferienfreundschaft. Sam und Tess könnten kaum gegensätzlicher sein. Sam ist ein verträumter, fast schon melancholischer Junge. Tess wiederum steht ganz in der Tradition der Pippi-Langstrumpf-Figuren; ihre Unangepasstheit hat aber auch einen zeitgenössischen Touch, etwa wenn sie sich grundsätzlich nie entschuldigt, weil Frauen das allzu oft täten. Der Film steht vom Temperament eher auf Tess’ Seite. Wouterlood ist kein sonderlich eleganter Erzähler; die Handlung wirkt oft ruckartig und eilt etwas überhastet zum allzu realitätsfernen Happy End. Mehr Raum entfaltet die charmante Geschichte in der Schilderung von Sams Entwicklungsprozess, an dessen vorläufigem Ende die Zuwendung zu gelebter Erfahrung steht.
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Anna Woltz (die Autorin) erhält den Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis für "Gips" im Jahr 2017
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