Rostiges Schiff liegt am Strand, davor zwei rennende Kinder - Szenenbild aus dem Film "Samia" - © Weltkino Filmverleih
Die junge Samia (Riyan Roble) am Strand (© Weltkino Filmverleih)

Filmtipp

Samia

Drama um die junge somalische Sportlerin Samira Yusuf Omar (1991-2012) und ihren Traum von Olympia.

Eine Filmkritik von Cosima Lutz / filmdienst

Sie sei „der nächste Mo Farah“, schreibt ihr mal jemand, der es gut mit ihr meint und der fest an ihr Talent als Läuferin glaubt. Samia Yusuf Omar glaubt sowieso an sich. Die junge Frau aus einem ärmlichen Viertel der somalischen Hauptstadt Mogadischu schafft es sogar, sich als Sprinterin für Olympia zu qualifizieren, obwohl es nach der Machtergreifung der Islamisten fast unmöglich geworden ist, zu trainieren. Der obligate Schleier stört, und das soll auch so sein, denn Sport ist den Frauen ohnehin nicht mehr gestattet. Jubeln, Singen oder Musikhören ist verboten. Deshalb läuft Samia nachts, heimlich, und freut sich leise.

Träume sind alles, was wir haben

Bei den Vorbereitungen für die Olympischen Spiele in Peking 2008 rennen sie und ihr Idol Mo Farah sogar einmal fast ineinander. Es ist nur eine kleine Unachtsamkeit; ihre und seine Schulter rempeln aneinander. So nah werden sich diese beiden Lebenswege nie wieder sein. Vier Jahre später wird der berühmte somalische Langstreckenläufer mit britischer Staatsbürgerschaft in London Doppel-Olympiasieger über 5000 und 10.000 Meter. Die junge Frau aber, die davon träumte, 2012 ebenfalls anzutreten, ist zu diesem Zeitpunkt bereits tot. Sie ertrank beim Versuch, Europa zu erreichen, um weiter an ihrem Traum von Olympia zu arbeiten. Die 21-Jährige starb am 2. April 2012 im Mittelmeer, wie Tausende andere zuvor und danach.

Über Samias kurzes Leben sind schon Bücher geschrieben worden: die Graphic Novel „Der Traum von Olympia“ von Reinhard Kleist und der Roman „Mit Träumen im Herzen“ des italienischen Journalisten Giuseppe Catozzella. Träume, so formuliert es Samias fürsorglicher Vater Yusuf (Fatah Ghedi), seien nun einmal „alles, was wir haben“. Im Film ist damit nicht nur der Traum vom besseren Leben gemeint. Träume, zumal in repressiven Systemen ohne Aussicht auf Veränderung, lassen das Leben erträglicher werden, aber manchmal auch den Augenblick des Todes.

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Sprengstoff, Angst und Terror

Vor allem die Szenen aus Samias Kindheit sprühen vor Rasanz und Bewegungsfreude. Die Kamera von Florian Berutti spürt der Freundschaft zwischen Samia (Riyan Roble) und dem Nachbarsjungen Ali (Zakaria Mohammed) nach, der vom Konkurrenten zu ihrem Trainer wird. Die beiden Kinderdarsteller bringen Tiefe und Komplexität in diese Beziehung und loten schnörkellos aus, was Verlieren, Gewinnen, Verrat und Loyalität bedeuten. Sie zerstreiten und versöhnen sich so glaubhaft, dass es fast dokumentarisch wirkt.

Die Kinder besitzen offensichtlich noch genügend Kraft und geistige Flexibilität, um Geschlechterrollen zu reflektieren. Im Unterschied zu den bald alle Leichtigkeit zerstörenden Milizen, die teils selbst fast noch Kinder sind wie Samia und Ali. Für die Radikalen ist die Welt einfach; das Böse ist leicht zu identifizieren, und die Mittel zu dessen Bekämpfung sind jederzeit zur Hand: Sprengstoff, Angst und Terror.

Abgesehen von dem knappen dokumentarischen Archivmaterial zu Beginn des Films und noch einmal nach einem Bombenattentat werden die politischen Hintergründe dieses Umbruchs in Somalia nicht weiter erklärt. In seiner aus Kinderperspektive unerklärlichen Brutalität hackt sich das Grauen als etwas Fremdes in den städtischen Mikrokosmos. Die ständige Bedrohung wird dadurch umso effektiver zum bizarren Hintergrundrauschen und frisst sich in die potenzielle Story von Glück und Erfolg.

Du kannst es schaffen

Regisseurin Yasemin Şamdereli schrieb das Drehbuch zusammen mit Giuseppe Catozzella und ihrer Schwester Nesrin. Mit „Almanya – Willkommen in Deutschland“ haben die beiden ihr Gespür für komische Reibungen zwischen türkisch-deutschen Kulturen schon unter Beweis gestellt. Das Schicksal von Samia überwältigt schon als bloße Nachricht. Doch gerade weil der Film fast bis zuletzt die westliche Konvention „Du kannst alles schaffen, wenn du nur willst“ mit einer fast naiven Selbstverständlichkeit aufruft, so als gelte dies tatsächlich für alle Menschen, und weil die beiden Samia-Darstellerinnen Riyan Roble (als Kind) und llham Mohamed Osman (als junge Frau) einen von jugendlicher Klugheit getragenen, nahezu ungebrochenen Optimismus an den Tag legen, trifft das längst bekannte Ende umso mehr.

„Samia“ wählt im Umgang mit dem Motiv des dem Untergang geweihten Flüchtlingsbootes also eine völlig andere Strategie als etwa Philip Scheffner. Der zerlegt in seinem minimalistischen Filmexperiment „Havarie“ ein auf einem Kreuzfahrtschiff aufgenommenen Video quälend analytisch in Einzelbilder und stellt damit die Wahrnehmung auf die Probe. Und Wolfgang Fischer blickt in seinem hochvirtuosen Drama „Styx“ aus der Perspektive einer Hobbyseglerin auf den Gewissenskonflikt einer Einzelnen, die helfen könnte. Doch „Samia“ ist gerade in seiner scheinbar weniger raffinierten Form ein Film, den es gegen das abgestumpfte Weiterscrollen braucht. Zwischen Nachrichten über tote Migrantinnen und Eilmeldungen über den Gewinn von Medaillen hilft er jenes brutale Meer der Ignoranz zu erkennen, in dem nicht nur Samias Traum untergegangen ist.

Filmplakat "Samia" (2024) - © Weltkino Filmverleih GmbH

Biopic | Deutschland/Italien/Belgien/Schweden 2024 | 103 Minuten

Regie: Yasemin Samdereli

Ab 14 Jahren

Kinostart: 19.09.2024

Weitere Infos


Medientipp

Der Traum von Olympia

Rezension

Der Traum von Olympia

Samia Yusuf Omar läuft bei den Olympischen Spielen in Peking 2008 ihre persönliche Bestleistung und ist der Publikumsliebling - obwohl sie Letzte wird. Aber seitdem hat sie nur einen Traum: (...)