Drama um einen 16-jährige Afroamerikanerin, die miterleben muss, wie ihr ebenfalls schwarzer Freund von einem weißen Polizisten erschossen wird, und sich in der Folge entschließt, als Zeugin vor Gericht aufzutreten.
Romane für junge Erwachsene, sogenannte Young Adult Novels, erfreuen sich in den USA großer Beliebtheit. Ihre Kombination von traditionellen Pubertätskonflikten mit aktuellen gesellschaftlichen Befindlichkeiten hat das Genre zu einem Favoriten der US-Verlagshäuser gemacht. Da darf es dann auch schon einmal sein, dass ein Buch die Grenzen konventioneller Thematik sprengt, wie es Angie Thomas’ Roman „The Hate U Give“ tut.
Seit seinem Erscheinen im Februar 2017 steht das Buch ununterbrochen auf der Bestsellerliste. Vor allem Frauen und Mädchen klammern sich an der Story fest, die im Grunde dieselbe ist wie in Ryan Cooglers Film „Nächster Halt: Fruitvale Station“: die Erschießung eines unbewaffneten schwarzen Jugendlichen durch einen weißen Polizisten. Aber diesmal wird die Geschichte aus einer anderen Perspektive erzählt, nämlich die der 16-jährigen Freundin des Opfers, die Zeugin des Vorfalls ist. Auch die Verfilmung des Buches hat in den USA ein breites, vorwiegend junges Publikum gefunden, zusätzlich angelockt durch die begabte Schauspielerin Amandla Stenberg.
Überlebensregeln für eine gespaltene Welt
Sie spielt die Afroamerikanerin Starr Carter, die in einer bürgerlichen Familie in Garden Heights aufwächst, einer fiktiven US-amerikanischen Kleinstadt, die aber ebenso gut Oakland, Ferguson oder Sanford sein könnte, einer jener Orte, in denen in jüngster Zeit weithin dokumentierte und diskutierte Konfrontationen zwischen Weißen und Schwarzen tödlich endeten. Schon als kleines Kind mussten Starr und ihre Geschwister den Lektionen des Vaters lauschen, der sie darin unterwies, wie sich Schwarze benehmen sollen, wenn sie im Auto von einem weißen Polizeioffizier angehalten werden. Nicht nur Verhaltens-, sondern Überlebensregeln sind das, die in einer gespaltenen Welt jederzeit über Leben und Tod entscheiden können.
Starrs Eltern wollen, dass ihre Tochter einmal eine bessere Zukunft als sie hat, und schicken sie auf eine überwiegend weiße Privatschule im Nachbarort. Ihre Versuche, sich der anderen Umgebung anzupassen, konfrontieren die Jugendliche immer wieder mit Komplikationen, die daraus resultieren, dass sie in zwei verschiedenen sozialen Umgebungen unterwegs ist. So sehr sie sich auch bemüht, sich anzupassen, entgeht sie nicht permanenten Schwierigkeiten. Bewusst oder unbewusst brechen rassistische Klischees und Vorurteile auf und machen ihr die Integration schwer.
Zum entscheidenden Konflikt in Starrs jungem Leben kommt es, als sie abends mit einem schwarzen Freund, Khalil, nach Hause fährt und ein weißer Polizist den Wagen anhält. Als der Polizist die Fragen des Freundes, warum er angehalten wurde, nicht beantwortet, eskaliert die Situation. Während Starr ihn wiederholt drängt, seine Hände auf das Armaturenbrett zu legen, damit der Polizist sie sehen kann, greift Khalil zu einer Haarbürste, die der Polizist im Dunkel für eine Waffe hält und ihn erschießt.
Bis ins Mark erschüttert
Im Gegensatz zu einem Film wie „Nächster Halt: Fruitvale Station“ liegt das Hauptgewicht von „The Hate U Give“ auf den Folgeerscheinungen von Khalils Tod und deren Auswirkungen auf Starrs Psyche. Es ist die Wandlung einer 16-Jährigen, die durch die sozialen Bedingungen und Probleme ihrer Umwelt bis ins Mark erschüttert wird, sie aber gleichzeitig mit einem unvermeidlichen Anflug von Selbstverständlichkeit hinnimmt, zu einer jungen Erwachsenen, die das Trauma ihres Erlebnisses dadurch überwindet, dass sie den gesellschaftlichen Status Quo nicht mehr toleriert und sich als Zeugin zur Verfügung stellt.
„The Hate U Give“ ist unverkennbar die filmische Umsetzung eines Young-Adult-Romans, weit entfernt von den Filmen, dem ungezügelten Zorn und der Demagogie eines Spike Lee. Man sollte sich darüber nicht wundern, denn der Regisseur George Tillman Jr. ist bisher hauptsächlich als Produzent von Familiendramen wie „Soul Food“ oder durch seine Mitarbeit an der populären Fernsehserie „This Is Us“ bekannt geworden.
Seine Stärke liegt mehr im Umgang mit Schauspielern als im Stilistischen. Dennoch versteht er es, die so stark in der US-amerikanischen Realität verankerte Geschichte nicht in die Untiefen spektakulärer Bestseller-Verfilmungen absacken zu lassen. Tillman hält auf bewundernswerte Weise die Balance zwischen der Erwartungshaltung des Young-Adult-Publikums und den konstanten Anfechtungen ihrer Umgebung. Es ist eine starke, bewegende Geschichte, deren Bedeutung auch durch die etwas anbiedernde Machart kaum beeinträchtigt wird. Jugendliche jeder Hautfarbe sehen sich deren Implikationen so oder ähnlich überall in den USA ausgesetzt. Sie thematisiert das zentrale Problem des heutigen Amerikas, wichtiger als alle Kriege und Wirtschaftskrisen.
Menschen als Menschen sehen
Was dem Film fehlt, ist eine deutlichere Einbeziehung der Hintergründe. Der überall virulente „ethnozentrische Populismus“, der das Leben in den USA in zunehmendem Maß beherrscht, kommt ansatzweise am ehesten noch in den Schulszenen zum Ausdruck. Seine Auswirkungen auf den Alltag nicht nur der Jugendlichen bilden zwar den Mittelpunkt der Story, aber seine Wurzeln bleiben hinter den dramatischen Begebenheiten wie ein Phantombild verborgen, das jeder kennt, aber nicht näher anzusprechen wagt. Wie kommt es, dass die US-amerikanische Gesellschaft aus zwei Seiten besteht, die sich auf fundamentale Weise unterscheiden, sowohl in ihrer Ideologie als auch in ihrer gelebten Realität?
Man muss dem Film zugutehalten, dass er mit einigen Differenzierungen aufwartet, die in thematisch ähnlichen Filmen und Fernsehprogrammen keineswegs selbstverständlich sind. Stärker noch als die Einbeziehung der „Black Lives Matter“-Bewegung gegen Ende des Films prägt sich beispielsweise eine Szene dem Gedächtnis ein, in der ausgerechnet Starrs Onkel die Perspektive des Polizeioffiziers zu bedenken gibt, ein Schwarzer also, der – zumindest einen Augenblick lang – die Position eines Weißen einnimmt, indem er versucht, eine total subjektivierte Situation zu objektivieren und damit das zu tun, was allein einen Ausweg aus der Misere anbieten kann: Menschen als Menschen zu sehen und zubehandeln, gleichgültig, was ihre Hautfarbe ist.
Franz Everschor/Filmdienst