Der Vogel in mir fliegt, wohin er will
Bertas Kindheit in Nord-Schweden ist geprägt von harter Arbeit auf dem väterlichen Hof, aber auch von der Sorge um die an Tuberkulose erkrankte Mutter. Dass sie sich ihre freie Zeit "stehlen" muss, um mit Ton zu formen oder zu zeichnen, darf niemand erfahren. Doch die Pläne des Vaters für seine drei Töchter sind eindeutig: sie sollen Bäuerinnen werden. Im Arzt der Familie, der Bertas Talent erkennt, findet sie einen Fürsprecher: sie darf eine höhere Schule besuchen, um als Lehrerin arbeiten zu können. – Sehr lebendig werden in diesem Kinderbuch die Kindheits- und Jugendjahre der schwedischen Künstlerin Berta Hansson ausgemalt. Sie erzählt von der bäuerlichen Arbeit, von der Zuneigung zur sterbenskranken Mutter und schließlich von der Erkenntnis, dass es noch eine andere Welt gibt, die Welt der Kunst und Literatur, von der sie sich so angezogen fühlt. Es ist eine Ansichtskarte von Michelangelos "Adam", durch die sie ihren Wunsch gewahr wird, ihr Leben der Kunst zu widmen. Für eine Jugendliche, die Anfang des 20. Jh. in der abgeschiedenen Welt eines Bauerndorfs aufwächst, ist dies ein großer emanzipatorischer Schritt. Erzählt wird davon sehr sensibel und stimmig. Und auch die Illustrierung greift diesen bewegenden Ton auf. In beinahe märchenhaften Szenen erleben wir die Familie in ihrem bäuerlichen Umfeld, in dem die Kunst eine für Berta zukunftsweisende Perspektive bildet. Sehr anschaulich ist dies im wiederkehrenden Motiv des Händepaars dargestellt: Bertas Hände kritzeln Figuren, sie halten die Karte Michelangelos, sie zerschneiden ein Modejournal und fügen die Teile schließlich als Collage zusammen. So erlebt man beim Betrachten und Lesen die ersten Schritte einer bildenden Künstlerin, die später zu den Vertreterinnen des schwedischen Expressionismus zählen wird. Dieser hierzulande eher unbekannten Malerin wird mit diesem Buch ein würdiges Denkmal gesetzt. Aber mehr noch: Die Erzählung einer Befreiung durch die Kunst hat hohes literarisches Gewicht. Den "Luchs-Buchpreis" hat dieses schöne Buch zu Recht erhalten!
Dominique Moldehn
rezensiert für den Borromäusverein.
Der Vogel in mir fliegt, wohin er will
Sara Lundberg ; aus dem Schwedischen von Friederike Buchinger
Moritz Verlag (2024)
120 Seiten : farbig
fest geb.
Borromäus-Altersempfehlung: ab 11