Geschichten vom Kranksein und vom Heilen
Kranksein, wer mag das schon? Mit kleinen Kindern, die es erwischt, gerät der Alltag aus den Fugen und wenn man dann auch selbst noch krank wird, geht gar nichts mehr. Aber es gibt auch Notfälle, Aufenthalte im Kinderkrankenhaus oder gar chronische Krankheiten. All das wird in der Kinderliteratur künstlerisch überzeugend oder sachgemäß in Text und Bild behandelt. - Antje Ehmann hat sich umgeschaut, acht interessante Titel ausgesucht und die KünstlerInnen gebeten, von ihren Erfahrungen rund um das Thema zu erzählen.
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Antje Ehmann
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Zum Arzt gehen - manchmal führt kein Weg dran vorbei und wer kennt das nicht? Man sitzt im Wartezimmer und hofft, gleich aufgerufen zu werden. In Der Nächste, bitte! spielen Michael Escoffier und Matthieu Maudet diese Situation auf ganz ungewöhnliche Weise in ihrem knallgelben Pappbilderbuch durch. Denn erstens handelt es sich um eine Tierpraxis und zweitens geschieht Unglaubliches, während einer nach dem anderen ins Behandlungszimmer gerufen wird. Schon die erste Doppelseite ist herrlich witzig. Alle Tiere - bis auf das vor sich hin dösende Schaf - lesen und das Krokodil ist dran. Furchtlos kümmert der Arzt sich um die Zahnschmerzen und schon geht es mit dem Elefanten weiter. „Zunächst wollte ich eigentlich eine Geschichte über all die kleinen Wunden von Kindern schreiben und das ein wenig ent dramatisieren, wenn der Gang zum Arzt ansteht. Aber dann - wie so oft, wenn ich mit Matthieu arbeite - ist es überraschender geworden, mit mehreren Ebenen und dem Effekt, dass man das Pappbilderbuch mehrfach lesen mag,“ so Escoffier.

Mehrfach vorlesen, diesen Effekt hat auch das Pappbilderbuch Krank sein? Lieber nicht! von Martin Baltscheit und Claudia Weikert. Eine Reihe rund um den Esel liegt nun schon vor und in diesem Band geht es ihm leider gar nicht gut. Alle Tiere haben eine andere Idee, was dem kranken Tier helfen könnte. Am Ende ist er wieder quietschfidel und bringt allen anderen, die es nun erwischt hat, fünf Teetassen auf einmal auf dem Tablett! Die Illustratorin arbeitet hier zum ersten Mal komplett digital. „Der lockere, handgemachte Strich sollte aber möglichst beibehalten werden,“ so Weikert, die sonst eine Mischtechnik aus Blei- und Buntstift sowie Gouache bevorzugt. Dass ihr das grandios gelungen ist, zeigt sie witzig und charmant auf jeder einzelnen Seite. „Ich stelle mir immer vor meinem inneren Auge vor, wie ich in diesem Moment schauen würde - so als Eselchen - und mit Martin Baltscheit, der seinen Text dann immer vorliest, haben wir beides mehrfach aufeinander abgestimmt,“ so Weikert.

Mit ihrem Gedicht wollte und konnte Sie ihre Mutter trösten, so erzählt Daniela Kulot. In Bald bist Du gesund, kleine Katze! bietet sie Eltern und Kindern eine wohltuende Möglichkeit, sich mit Vorlesen abzulenken und dann ebenso liebevoll miteinander umzugehen, wie die Tiere in der Geschichte das tun. Wer ist dabei? Ein gesunder Hund, eine kranke Katze und die kleine Maus. Immer als aufmerksame Beobachterin dabei und von den Kindern auf jeder Seite zu entdecken. Schön auch die Idee für das Vorsatzpapier. Wie in einem Daumenkino kann man die Maus und die Katze in ganz vielen verschiedenen Variationen betrachten. Gut möglich, dass einige Kinder das pantomimisch nachmachen - der Bauch tut weh, der Kopf brummt und der Zahn ist raus … „Das Gefühl, wenn man sich nicht wohl fühlt und vielleicht gar nicht mal so krank ist, aber dringend Zuwendung, Liebe, Nähe und Trost brauchen, das kennen wir wahrscheinlich alle,“ sagt die Illustratorin. „Er nimmt von der Katze die kleine Tatze …“ so ist es zu lesen und auf den freundlichen Illustrationen prägt der wärmende Kachelofen im Holzhaus die Szenerie.

Und auch Der kleine Notarztdrache von Jessica Kremser und Katja Gehrmann ist immer gleich zur Stelle, wenn man ihn braucht. Einziges Problem, das Chaos, das fast immer in seinem gut bestücktem Arztkoffer und in seiner Höhle herrscht. „Mein Sohn Jannis ist auf die Idee zu der Geschichte gekommen. Als Dreijähriger hat er sich sehr für Ärzte und für Drachen interessiert und mich gefragt „Denkst Du, es gibt ein Buch über einen Notarztdrachen?“, so die Autorin. Insgesamt dreizehn Kapitel laden zum märchenhaften Vorlesen ein. Mit dabei auf dem Weg zum Prinzessinnennotfalleinsatz ist Glühwürmchen Gusti. Katja Gehrmann lockt Kinder mit ihren malerischen, ausdrucksstarken Szenen vermutlich auch zwischendurch zum Anschauen, bis es mit dem kurzweiligen Vorlesen wieder weiter geht. „Ich finde den Arztberuf sehr interessant und schaue auch gerne Arztserien. Die meisten von ihnen bewundere ich für ihr Wissen und ihre Fähigkeit, Menschen zu helfen und Leben zu retten,“ so Kremser noch.

Wenn es dann sogar darum geht, in ein Kinderkrankenhaus zu müssen, gibt es oft viele Ängste und Bedenken zu bestehen. Autorin Bella Berlin hat bemerkt, dass es zum Thema chronische Krankheiten zu wenig passende Kinderbücher gibt. „Wir waren dort mit vielen Familien in Kontakt. Die Kinder hatten Diabetes, Multiple Sklerose, Krebs oder schwere Allergien und oft hatten die Eltern nicht die richtigen Worte parat“, erzählt sie. So entstand bei ihr der Wunsch nach Ida und der Berg im Funkelwald - Kindern chronische Krankheiten erklären. Mama, Papa und Ida sind zu dritt vergnügt, bis sich ihre Tochter eines Tages sehr schlapp fühlt. Ein körperlicher Zustand, der anhält, so dass sie sich entschließen, ins Krankenhaus zu gehen. „Ich kenne das „Berggefühl“ recht gut“, so Illustratorin Lena Hesse, die die reale und die Fantasiewelt mit vielen liebevoll gezeichneten Details versehen hat. Besonders das sonst so unpersönliche Krankenzimmer! „Bei der Arbeit habe ich mich daran erinnert, wie anstrengend die Phase der Diagnose und der ersten Krankenhausaufenthalte war. Wenn man dann nach und nach lernt, mit der Krankheit zu leben, hilft das sehr. Ich weiß auch inzwischen, wie ich meinen Körper zu lesen habe und auch, welche Maßnahmen zu ergreifen sind, wenn mal was nicht stimmt“, so Hesse weiter.

Um Notfallmaßnahmen geht in den beiden hervorragenden Kinder-sachbüchern, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Eines davon trägt den Titel AUA! Ein Buch über den Körper, Verletzungen und Gesundwerden - mit viel Kraft und Energie geschrieben und kombiniert mit gewohnt stilsicheren Illustrationen und Layout von Felicitas Horstschäfer und Johannes Vogt. Mit einem riesigen AUA! auf dem Cover zieht das neue Werk der beiden Berliner gleich die Aufmerksam-keit auf sich. Und die Figuren, allesamt in einer misslichen Lage, sorgen bestimmt schon einmal für Lacher. Denn auch wenn es im ersten Schreck meistens nicht viel zu lachen gibt: irgendwann ist auch die schlimmste Verletzung überstanden. „Ich sehe jetzt den Körper in einem ganz neuen Licht,“ so Horstschäfer. „Alles hat seine Funktion. Nehmen wir die Verstauchung, die nach einem Umknicken passiert. Der Knöchel schwillt an, durch die Schwellung tut das Auftreten weh und das hat seinen Sinn.“ Perfekt erklärt wird auch der Aufbau der Haut, was bei einem blauen Auge mit den Gefäßen passiert oder wie ein Zahn heilen kann. Es geht auch darum, herauszufinden, wie schlimm die Lage ist. Denn manchmal ist es vielleicht auch nur ein „Mini-Aua“ und es reicht, tief durchzuatmen!

Das andere Kindersachbuch ist mit Fotografien von Julius, dem Sohn des Autors und Verlegers Michael Albrecht alias Michael König, gestaltet. Julius forscht Erste Hilfe - Forschen, Entdecken, Basteln verknüpft geschickt mehrere Zugänge zu dem Thema und punktet mit einer sympathischen Hauptfigur. Julius hat die Erste-Hilfe-AG in der Grundschule begeistert mitgemacht und sein Elan springt auf die Leser über. Wie sieht es aus mit dem Erste-Hilfe-Kasten zu Hause im Schrank? Welches waren noch die fünf W-Wörter, die man beim Anruf dem Rettungsdienst beantworten sollte? Und wie stillt man Nasenbluten fachmännisch? Der Ton ist durchweg sehr freundlich informativ, beantwortet viele Fragen und macht Spaß. Denn zahlreiche originelle Ideen wie das Ersthelfer-Quartett, ein verblüffendes Venenexperiment oder Medical Art gehen das Thema von einer ganz anderen Seite an! „Julius hatte sich beim Fußballtraining den Unterarm gebrochen, so hatten wir für das Kapitel Knochenbrüche ein Röntgenbild vom Protagonisten selbst, mit durchgetrennte Elle und Speiche,“ erzählt der Autor noch. Insgesamt ehr authentisch und mit einem Aufforderung-scharakter, der motiviert, sich selbst mehr mit dem Thema zu beschäftigen.

Um Krankheiten wie Gelbfieber, Kinderlähmung oder Typhus geht es in Vorsicht, ansteckend! Die ekligsten Krankheiten der Geschichte von John Kelly und Richard Platt. Prof. Rattikus übernimmt die Führung gemeinsam mit den beiden Laborassistentinnen Moski und Tik-Tik quer durch das Keimlabor und weitet den Blick historisch und fachlich. Denn es gibt ja weit mehr Viren als das Corona-Virus. Schon ein Blick mit dem Mikroskop, möglich seit der Erfindung im 17. Jahrhunderts, macht das klar. Welche Pandemien es bisher schon gab, was man alles getan hat, um sie zu bekämpfen, das erfährt man hier. Im 19. Jahrhundert, bevor es Impfungen gab, waren Infektionen für Kinder eine tödliche Gefahr. „Keuchhusten war die Todesursache Nummer eins bei Kindern unter fünf Jahren. Viele starben auch an Diphtherie, Röteln, Mumps und Scharlach.“ So ist es im Kapitel „Kinderkrankheiten“ zu lesen. Fachbegriffe wie Quarantäne, Antikörper oder Symptom werden auf der letzten Doppelseite erklärt und ein Register hilft bei der Orientierung auf den famosen, meist schräg und karikaturhaften Zeichnungen.
Alle acht Kinderbücher können den Kindern jeweils auf ihre Art helfen und bauen eine Brücke zum Gespräch. Felicitas Horstschäfer ergänzt noch: „Ich war im September vergangenen Jahres in Bonn auf dem großartigem rheinischen Lesefest „Käpt`n Book“ zu Gast und hatte dort eine Lesung zu "Schau in deinen Körper" mit Kita-Kindern. Wir kamen irgendwann auf Verletzungen zu sprechen. Ich erzählte von dem „Aua!“ Buch, an dem ich gerade gearbeitet habe, von den Unfällen, die den Kindern im Buch passieren und wie der Körper sich heilt. Ab dem Moment waren die Kinder kaum noch zu stoppen, von ihre eigenen Verletzungs- und Heilungsgeschichten zu erzählen. Da dachte ich mir: „Das Buch trifft einen Nerv!“