Frauenbiografien in der aktuellen Kinderliteratur
Vorbilder sind nicht zu unterschätzen und wie gut, wenn sich junge Mädchen mit Frauen identifizieren oder von ihren Lebensgeschichten inspiriert werden. Gleichzeitig begibt man sich auf faszinierende Zeitreisen und begreift, wie sich die Frauenrollen im Laufe der Jahrhunderte verändert haben. Ob als Philosophin, Juristin oder Radrennfahrerin - von 4 bis 14 sind interessante Biografien für Mädchen und Jungen mit dabei, die Antje Ehmann für Sie entdeckt und ausgewählt hat.
Reisen, immer wieder reisen - die Welt lockt mit all ihren unter-schiedlichen Ländern und Städten. Ida Pfeiffer, geboren 1797 in Wien, war eine der populärsten Reiseliteratinnen ihrer Zeit. „Ich habe 2017 zu Entdeckerinnen, Abenteuerinnen und Forscherinnen recherchiert und bin über ihren literarischen Schatz gestolpert,“ erinnert sich Illustratorin Linda Schwalbe, die für ihr Debüt Ida und die Welt hinterm Kaiserzipf mit der Serafina - Preis für Illustration 2020 ausgezeichnet wurde. Mit Acryl auf Karton, in auffälligen Farben und expressiven Formen präsentiert sie schon für kleinere Kinder ein Frauenleben, das ab dem 50. Lebensjahr ganz neue Wendungen vollzogen hat. Die Hauptfigur zeigt sie dabei auffallend alterslos. „In einem Alter, in dem Mitte des 19. Jahrhunderts eher an Ruhestand gedacht wurde, zieht sie los und macht ihren Kindheitstraum trotz aller Widerstände wahr und emanzipiert sich,“ so Schwalbe. Eine Weltkarte zeigt die Reiserouten der beiden Weltreisen, die Ida Pfeiffer mit ihren Büchern finanzierte.
Als Preis für das erste Radrennen bekam die Italienerin Alfonsina Strada ein Schwein. Das ist auch zu sehen auf der Rückseite des rasanten Bilderbuches des spanischen Illustrators Joan Negrescolor So schnell wie der Wind - Die Geschichte von Alfonsina Strada. Überwiegend in gelb und orange gehalten lernt man die willensstarke Pionierin des Radsports kennen, die 1891 in Norditalien geboren wurde und sich mit zehn Jahren das Radfahren beigebracht hatte. „Noch heute erfahre ich immer wieder neue, interessante Dinge über ihr Leben und über das revolutionäre Potential einer Frau aus einfachen Verhältnissen, die ihr Leben unermüdlich dem Radsport widmete und dabei steht Loyalität, Solidarität und Gemeinschaftssinn bewies,“ so der Autor, der bei einem Illustrationskurs zufällig im Internet eine alte Aufnahme von ihr fand. Wie sich sich als Junge verkleidete, um überhaupt am Rennen teilnehmen zu können, wird auf den Doppelseiten beeindruckend in Wort und Bild gezeigt.
Tief beeindruckt von der Lebensgeschichte der Richterin Ruth Bader Ginsburg zeigen sich nicht nur viele amerikanische Mädchen und Frauen. So wird sie nun in einem Band der erfolgreichen Biografienreihe Little People, BIG DREAMS Ruth Bader Ginsburg für Kinder im Grundschulalter von Maria Isabel Sánchez Vegara gewürdigt. „Mich beeindruckt besonders, dass sie so aufrecht und nach außen hin so cool ihre Position vertreten hat. Ich stelle es mir extrem anstrengend vor, in einer Atmosphäre wie in der Trump-Zeit sachlich zu bleiben und die eigene Meinung mit Argumenten zu verteidigen,“ so Übersetzerin Svenja Becker. 1933 als jüdisches Mädchen in New York geboren, hatte Ruth ihre Mutter als Vorbild. Die Illustrationen von Judit Orosz zeigen sie als wissbegieriges Mädchen in der Bibliothek. 1993 wurde sie nach einem Jurastudium als erste weibliche Richterin ans Oberste Gericht berufen. Als engagierte, humorvolle Vorkämpferin für die Gleichberechtigung von Mann und Frau bleibt die im letzten Jahr Verstorbene vielen im Gedächtnis.
Auch in hohem Alter immer noch aktiv und voller Elan ist die 1935 geborene US-Amerikanerin Ozeanografin und Umweltaktivistin Sylvia Earle, die im Laufe ihres Lebens mehr als 7000 Stunden unter Wasser verbracht hat. In Das blaue Herz des Planeten - Die Geschichte einer Meeresforscherin bekommen Kinder ab fünf Jahren einen Einblick in das Leben und die Bedeutung und die Bewahrung der Schöpfung. „Mich beeindruckt ihr unerschütterlicher Wille, aus der seit Kindertagen bestehenden Faszination für das Meer und seine Lebewesen, einen Beruf, gar eine Berufung zu machen,“ so die Lektorin Maria A. Kafiz. Mit 12 Jahren, dem Umzug nach Florida und einer Schwimmbrille ging es los. „Wenn doch nur jeder wenigstens einen Tag unter Wasser erleben könnte,“ so ihr Wunschtraum. Als Erwachsene war sie als einzige Frau bei einer 70-Mann Expedition im Indischen Ozean mit dabei und heute engagiert sie sich bei der gemeinnützigen Stiftung (www.mission-blue.org). Claire A. Nivola erzählt ausführlich in eindringlichen, zugleich unaufgeregten Worten und feinen Illustrationen von diesem Leben.
Illustrativ interessant kommt auch die Lebensgeschichte der Madame Pompadour in Gewand eines Bilderbuches daher. Zunächst für Erwachsene geschrieben und konzipiert lässt sich Andrea Weisbrod zum 300. Geburtstagsjubiläum für die Reihe „Kinder entdecken berühmte Leute“ auf die jüngere Zielgruppe ein und hat mit Andrea Offermann eine gewinnbringende Künstlerin für Jeanne Antoinette de Pompadour an ihrer Seite. Wir sind im Frankreich des 18. Jahrhunderts und haben es mit der Biografie einer jungen Bürgerlichen zu tun, die sich in den Kopf gesetzt hat, eines Tages Prinzessin zu werden und ihre Handlungspielräume geschickt auslotet. „Madame Pompadour eroberte sich am französischen Hof eine Machtposition, die es ihr bis zu ihrem Lebensende ermöglichte, maßgeblich die französische Politik und Kultur mitzugestalten,“ so Weisbrod, die zum ersten Mal vor über 25 Jahren auf einer Tagung von ihr gehört hat und sich dann intensiv mit der höfischen Gesellschaft auseinandergesetzt hat. Während der umfangreiche, kurzweilige Text vorgelesen wird, können sich die Betrachter in Ruhe mit den filigranen, ideenreichen und sehr schwungvollen Illustrationen beschäftigen. Ornamente, Kleider und zahlreiche Requisiten entführen in die sorgfältig recherchierte, vergangene Zeit. Ein Nachwort und das Glossar am Ende mit zahlreichen Worter-klärungen rundet den reizend, charmanten Band gekonnt ab.
Intensiv mit dem Leben der Mary Tudor beschäftigt und recherchiert hat auch Kristina Gehrmann für ihre herausragende Graphic Novel Bloody Mary - Die Geschichte der Mary Tudor für Jugendliche ab 14 Jahren. „Erstmals ist sie mir in der Biografie von Carolly Erickson 2006 begegnet. Jahre später fand ich das Thema immer noch interessant und konnte mir vorstellen, längere Zeit damit zu verbringen und einen Comic daraus zu machen,“ so Gehrmann. Also taucht man ein in ein spannendes historisches Abenteuer, eine umfangreiche Frauenbiografie des 16. Jahrhunderts und erfährt viel mehr über Maria I. als gemeinhin bekannt ist. 1518 in Greenwich geboren bekommt man dank der detailliert gezeichneten historischen Kulisse, Architektur und Mode einen tiefen Einblick in ihr Leben. Titelheldin des nächsten Comics der 2016 für den ersten Band der Trilogie „Im Eisland“ mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichneten Hamburger Künstlerin wird „Gloriana - Die Geschichte von Elizabeth I“.
Dieses Werk über das Leben von Hannah Arendt richtet sich an Jugendliche ab 16 ebenso wie an Erwachsene. Ken Krimstein gelingt es, in Text und Bild mit Die drei Leben der Hannah Arendt ebenfalls eine Graphic Novel vorzulegen, die beeindruckt. „Als ich dieses Projekt erstmals in Auge fasste, war ich fasziniert von ihren Formulierungen wie der „Banalität des Bösen“ oder dem plakativen Titel „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“. Gleichzeitig vermutete ich, dass es über ihre Person noch sehr viel mehr zu entdecken geben würde,“ formuliert Krimstein im Nachwort. Und so war es dann auch: von der Kindheit in Ostpreußen über das Studium in Marburg bis zur Stelle als erste Professorin in Princeton lernt man Hannah Arendt kennen. Farbig dezent in Grau gehalten und mit grünen Farbakzenten versehen liest man gebannt über 200 Seiten lang. „Die Lektüre ihrer Bücher, Artikel, Interviews und Reden kann dabei helfen, unsere fortwährende, niemals endende Gegenwart besser zu verstehen,“ so Krimstein noch. Das können auch alle hier vorgestellten Biografien - den eigenen Horizont erweitern und neue Ideen für den eigenen Lebensweg geben.