Deutscher Buchpreis für Robert Menasse
Der österreichische Schriftsteller Robert Menasse ist für seinen Roman „Die Hauptstadt” mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet worden. In dem Roman schlägt der idealistische Brüsseler Beamte Martin Susman vor, anlässlich des 60-jährigen Gründungsjubiläums der Kommission Auschwitz zur europäischen Hauptstadt zu machen, um die Grundidee der europäischen Einigung wieder sichtbar werdem zu lassen.
Mit seinem Roman mache Menasse eindringlich deutlich, so die Jury in ihrer Begründung, dass Menschlichkeit immer erstrebenswert sei, aber niemals selbstverständlich gegeben. „Die Ökonomie allein, sie wird uns keine friedliche Zukunft sichern können. Die, die dieses Friedensprojekt Europa unterhöhlen, sie sitzen unter uns – ‚die anderen‘, das sind nicht selten wir selbst.
Das ist - wenn man so will - der politisch-moralische Teil der Begründung. Auf der literarischen Ebene sieht die Jury Menasses Selbstanspruch verwirklicht, Zeitgenossenschaft „literarisch so [zu realisieren], dass sich Zeitgenossen im Werk wiedererkennen und Nachgeborene diese Zeit besser verstehen werden.”
Die Hauptstadt
Auschwitz sollte die neue Hauptstadt Europas sein. Nicht Brüssel oder eine andere europäische Stadt. Auschwitz repräsentiert nach Meinung Martin Susmans, eines idealistischen, vom Geist der Römischen Verträge durchdrungenen Beamten in der Generaldirektion Kultur der Europäischen Kommission, wie kein anderer Ort die Grundidee der europäischen Einigung. Übersteigerter Nationalismus und Rassismus habe nämlich Auschwitz erst möglich gemacht. Anlässlich des 60-jährigen Gründungsjubiläums der Kommission soll dieses Projekt der Öffentlichkeit vorgestellt werden, die letzten Überlebenden des Holocaust an den Feierlichkeiten teilnehmen. "Plötzlich versteht eine demente Gesellschaft, was sie hatte sein wollen, plötzlich erinnert sich ein todkranker Kontinent an die Medizin, die Heilung versprochen, die er aber vergessen hatte." (S. 441) Das erhofft sich jedenfalls Martin Susman. Damit soll gleichzeitig das Ansehen der Kommission in der Öffentlichkeit wieder gehoben werden. Auch will sich die ehrgeizige Vorgesetzte Susmans, Fenia Xenopoulou, mit diesem Projekt für höhere Aufgaben empfehlen. Sie verkennt allerdings, dass die im europäischen Rat versammelten Staats- und Regierungschefs diesem Plan, der letztlich auf eine "Überwindung der Nationen" hinauslaufen würde, unmöglich zustimmen können. - Um diesen inhaltlichen Kern ranken sich weitere Erzählstränge, die offensichtlich v.a. das Ziel haben, die verantwortlichen Entscheidungsträger in ihrer Kleingeistigkeit, ihrem Karrierismus und ihrem banalen Egoismus bloßzustellen. In diesen Teilen läuft der alles in allem großartige und raffiniert komponierte Zeitroman auf eine ironische und ausgesprochen amüsante Demontage des politischen Personals hinaus. Eine bitterböse, stilistisch glänzend geschriebene und offensichtlich gut recherchierte, freilich auch ironisch überzeichnete Abrechnung des bekannten österreichischen Autors mit den europäischen Institutionen, wie sie sich derzeit präsentieren.
Helmer Passon
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Die Hauptstadt
Robert Menasse
Suhrkamp (2017)
458 S.
fest geb.