Katholischer Kinder- und Jugendbuchpreis 2020

Susan Kreller: „Elektrische Fische“

Susan Kreller erhält den Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis 2020 der Deutschen Bischofskonferenz für ihren Jugendroman „Elektrische Fische” (Carlsen). Kreller erzählt die Geschichte von Emma, die mit ihrer Familie das vertraute Dublin verlassen muss und zu ihren deutschen Großeltern Susan Kreller © Ellen Runa Kara in ein kleines Dorf in Mecklenburg-Vorpommern zieht. Nur wenige Stunden nach der Ankunft in Deutschland ist für Emma klar, dass sie nach Hause zurück will.

„Home“. Der Begriff ist „so kurz wie ein Ausatmen“. Und in Irland auch „so wichtig wie Atmen“. Die deutsche Sprache hingegen nutzt ein zweisilbiges Wort: „Hei-mat“. Diese Zweisilbigkeit birgt bereits die Möglichkeit eines „Dazwischen“, wie Emma es formuliert. Denn in einem solchen Dazwischen findet Emma sich wieder, als sie mit ihrer Mutter und den Geschwistern von Irland nach Deutschland zieht. An einen Ort, den andere längst verlassen haben und der Emma auf den ersten Blick entleert und peripher scheint: Velgow, ein fiktives Dorf in Mecklenburg-Vorpommern. Die Topografie spiegelt dabei die Entwurzelung Emmas ebenso wie all jene Gerüche und Gefühle, die der Ich-Erzählerin fremd erscheinen. Zuallererst jedoch spiegelt sich diese Fremdheit in der Sprache wider. So sagt Emma: „Ich bin in einem Deutsch gelandet, in dem ich mich immer wieder verlaufe.“

Ganz aus der Situation heraus schildert die Autorin in poetischen Bildern die Erlebnisse einer jugendlichen Figur, die über die unterschiedlichen Dimensionen von Heimat und Zugehörigkeit nachdenken lassen, ohne dabei reflexartig in Nationalismen zu verfallen. Denn Heimat ist für Emma und deren Familie eine Frage ihrer Identität und damit ausdrücklich an familiäre, sprachliche und alltagskulturelle Erfahrungen gebunden.

Die mit der neuen Situation überforderten Großeltern, Emmas Schwester Aoife, die aufgehört hat zu sprechen, Emmas Bruder Dara, der die Partygewohnheiten der Dorfjugend inhaliert, Emmas Mutter, die ihre Zeit am Kaffeehaustischchen des örtlichen Bäckers verbringt – sie alle machen in vielen kleinen, aber mit immenser sprachlicher Exaktheit geschilderten Beobachtungen sichtbar, woran sich die eigene Verlorenheit zeigt und wie durch minimale Verschiebungen letztlich doch Neu-Verortungen möglich werden. Ganz im Sinne der Tauferfahrung erlebt Emma dabei die Transformation ihrer scheinbar ausgetrockneten, brachliegenden Existenz.

Susan Kreller, 1977 in Plauen geboren, studierte Germanistik und Anglistik und promovierte über deutsche Übersetzungen englischsprachiger Kinderlyrik. Sie lebt mit ihrer Familie in Bielefeld und arbeitet als freie Journalistin und Autorin. Susan Kreller ist Gewinnerin des Kranichsteiner Literaturstipendiums, wurde bereits dreimal für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert und hat ihn 2015 für ihren Roman „Schneeriese“ gewonnen.

(Aus der Pressemitteilung der Deutschen Bischofskonferenz.)

 

Elektrische Fische

Die 13-jährige Emma zieht mit ihrer jüngeren Schwester Aoife und ihrem älteren Bruder Dara sowie deren deutscher Mutter von Irland nach Deutschland. Zeit ihres Lebens haben sie in Dublin gelebt, aber nach der Trennung der Eltern sieht die Mutter Elektrische Fische für sich und ihre Kinder keine Zukunft mehr dort. Die Familie quartiert sich bei den deutschen Großeltern ein, die in Velgow, einem trostlosen Dorf in Mecklenburg-Vorpommern, wohnen, unweit der Ostseeküste. Der deutsche Alltag beginnt. Dabei spielen etwaige Sprachhindernisse die geringste Rolle. Vielmehr sind es die unterschiedlichen Herangehensweisen aller Beteiligter: der gutaussehende Dara findet über die Damenwelt schnell Anschluss. Emma gibt sich den neuen Lebensumständen nur mäßig hin und plant im Geheimen ihre "Flucht" zurück nach Irland. Aoife stellt nach unglücklichen Vorfällen in der Schule das Reden ein und tritt in eine Art Streik. "Alles, was ich weiß ist, dass Aoife nichts sagt. Und dass ihr jemand dabei zuhört." Alle erkennen, dass "Heimweh etwas sehr Einsames" ist. Jeder ist mit seiner persönlichen Lage allein und erhält kaum Unterstützung durch den anderen. Emmas Routine wird durch Levin aufgebrochen. Ein einzelgängerischer Mitschüler, der seine eigene, schwierige Geschichte mitbringt. Sie geben einander Halt und Emma findet in ihm einen Verbündeten, der sie bei ihrem "Fluchtversuch" unterstützt. Einzelne Erzählstränge werden im Laufe der Geschichte verwoben und bilden am Schluss ein Ganzes. - Susan Kreller, die für ihren Jugendroman "Schneeriese" (BP/mp15/205) mit dem deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet wurde, gelingt mit dem vorliegenden Text wieder ein großer Wurf. Sie stellt die Frage danach, was Heimat ausmacht und findet eindringliche Bilder für das Gefühl von Entfremdung und Entwurzelung. Dabei wirft sie auch einen Blick auf die kulturellen Unterschiede zweier europäischer Länder, die sich deutlicher voneinander unterscheiden, als vermutet. - Ein auch sprachlich herausragender Text, ein Muss für alle Büchereien!

Anja Kuypers

Anja Kuypers

rezensiert für den Borromäusverein.

Elektrische Fische

Elektrische Fische

Susan Kreller
Carlsen (2019)

191 Seiten
fest geb.

MedienNr.: 597996
ISBN 978-3-551-58404-5
9783551584045
ca. 15,00 € Preis ohne Gewähr
Systematik: J
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