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Insa Thiele-Eich

„Man steigt eben nicht in ein Raumschiff, wie in einen Bus“

 

Tierärztin, Lehrerin und Sängerin rangieren auf der Traumberuf-Liste von Grundschulmädchen ganz weit vorne. Bei Insa Thiele-Eich war das anders. Bereits im Alter von acht Jahren wusste sie genau, was sie werden wollte: Astronautin. Fast © manfred h. vogel dreißig Jahre später rückt das Weltall tatsächlich in greifbare Nähe. Insa ist eine von zwei Frauen, die seit 2017 eine Raumfahrausbildung durchlaufen. Eine von ihnen soll 2020 im Rahmen der Privatinitiative „Die Astronautin“ als erste Deutsche überhaupt die Erdatmosphäre verlassen und zur ISS fliegen.

Wie kommt ein Mädchen darauf, Astronautin zu werden? An der langen deutschen Geschichte der weiblichen Raumfahrt kann es nicht liegen. Denn während weltweit in den vergangenen Jahrzehnten sechzig Frauen ins All geflogen sind, wartet Deutschland noch auf die Premiere. Nicht umsonst heißt es im Deutschen „bemannte Raumfahrt“. Noch heute sprechen manche Menschen Frauen grundsätzlich die Fähigkeit ab, ins All reisen zu können. Zuletzt hat das Insa auf einer Trainingsreise in Russland erlebt.

Der promovierten Meteorologin erscheint die Debatte so absurd, dass sie sich am liebsten ausklinken würde. Wäre es nicht ihr großes Anliegen, Mädchen Mut zu machen, in diese und andere Männerdomänen einzudringen. Die Initiative „Die Astronautin“ ist von Beginn an auf ein großes mediales Interesse gestoßen. Und auch wenn sich Insa erst daran gewöhnen musste, in der Öffentlichkeit zu stehen, findet sie es gut und wichtig, dass sie und ihre Kollegin Suzanna Randall nun als Astronautinnen bekannt sind. „Nur so kann auch die weibliche Raumfahrt in Deutschland zur Normalität werden.“

 

 

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Die Astronautin

Die Initiative „Astronautin“ bringt die erste deutsche Frau ins Weltall. Diese Mission begeistert vor allem junge Mädchen und Frauen für die Raumfahrt, Naturwissenschaften, Mathematik und Technik – und zwar durch eine umfangreiche Bildungs- und Förderstrategie.

Die Astronauten - das Buch

 

Dass es das für Insa schon lange ist, erklärt sich aus ihrer Kindheit und Jugend. Gemeinsam mit ihrer Mutter und ihren drei jüngeren Geschwistern folgte sie ihrem Vater, dem Astronauten Gerhard Thiele, in den Neunzigerjahren nach Texas. Im NASA-Hauptquartier in Houston absolvierte er eine Ausbildung zum Missionsspezialisten, die ihn im Jahr 2000 schließlich ins All brachte. Für Insa war es ganz normal, dass Raumfahrerinnen dort gleichberechtigt mit ihren Kollegen zusammenarbeiten. Sie verfolgte Raketenstarts ihrer Nachbarinnen und hütete die Kinder der Astronauten.
In ihrem Buch „Astronauten: Eine Familiengeschichte“ schreiben Insa und ihr Vater über diese Zeit und vieles mehr. Mal in eigenen Kapiteln, mal im Dialog, berichten sie von ihrem Weg ins All. Mit vielen spannenden, interessanten und lustigen Anekdoten machen sie das Buch lebendig und stecken die Leser mit ihrer Begeisterung für die unendlichen Weiten an. Ein Buch, das zeigt, wie man sich mit Zielstrebigkeit, Ehrgeiz und innerer Stärke Träume erfüllen kann.

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Alle drei Eigenschaften liegen Insa im Blut. Schon als Kind, war sie eine Überfliegerin, wie Vater Gerhard erzählt. Ihren Highschool-Abschluss schaffte sie in den USA nach elf statt nach zwölf Jahren. Dass sie dafür morgens um halb sieben mit dem Unterricht beginnen musste, nahm sie gerne in Kauf. Nach einem Sommer an der Harvard Universität, wo Insa Kurse in Astronomie und Logik belegte, reiste sie schließlich alleine nach Deutschland zurück, um ihr Abitur zu machen.

„Als Älteste von vier Kindern habe ich immer viel Eigenverantwortung übernommen“, erzählt Insa. Ihre Mutter hatte nicht die Zeit, sie überall hinzufahren. „Also musste ich alleine mit Bus und Fahrrad zum Turnen, Flöten oder zu den Pfadfindern kommen.“ Überfordert hat sie diese Selbständigkeit nie. Und auch die vielen Umzüge hat sie gut weggesteckt, obwohl sich vor allem durch den USA-Aufenthalt enge Schulfreundschaften gelockert haben. „Auf der anderen Seite kann ich mich nun zwischen vielen verschiedenen Freundeskreisen bewegen.“

Aus der Schulzeit geblieben ist die Beziehung zu ihrem damaligen Freund und heutigen Mann, mit dem sie drei Kinder hat. Schon früh erklärte sie ihm, dass sie zwar Mutter werden, aber auch beruflich vorankommen wolle. Dieser Einstellung ist sie bis heute treu geblieben. „Arbeit ist anstrengend, aber Arbeit macht auch Spaß und bietet einen Ausgleich zum Familienleben“, sagt Insa. Ihr Mann unterstützt sie, ohne auf die eigene Karriere zu verzichten. Bisher haben sie immer Lösungen gefunden, um alles unter einen Hut zu bringen. Auch wenn es durchaus anstrengende Zeiten gegeben hat.

Zum Beispiel als ihre zweite Tochter gerade auf der Welt war. Eigentlich hatte Insa die Elternzeit nutzen wollen, um ihre Promotion voranzubringen, aber wenige Wochen nach der Geburt, bot ihr die Universität Bonn eine Vollzeitstelle als wissenschaftliche Koordinatorin an. Ihr Mann arbeitete zu dieser Zeit ebenfalls Vollzeit in Frankfurt und war vier Tage in der Woche unterwegs. Zudem hatte die Familie gerade ein neues Haus gekauft, das renoviert werden musste. Insa sagte trotzdem zu. Ihre zweijährige Tochter bekam einen 45-Stunden-Platz im Kindergarten, für das Baby fand sich eine Tagesmutter, die heute auch ihre Patentante ist.

 

(c) Michaela Handrek-Rehle

Trotzdem zehrte diese Zeit so sehr an Insa, dass sie gesundheitliche Probleme bekam. Wochenlang hatte sie eine chronische Mandelentzündung ignoriert, bis es irgendwann nicht mehr ging und sie operiert werden musste.  „Dreißig Minuten nach meiner Ankunft im Krankenhaus lag ich auf dem OP-Tisch, mit leerem Handy-Akku, so dass ich nicht mal meiner Familie Bescheid sagen konnte“, erinnert sie sich in ihrem Buch. „Ich habe daraus gelernt, meinen Körper und sein Bedürfnis nach Ruhe nicht zu lange zu ignorieren“, sagt sie heute.

Seither lebt Insa achtsamer, baut Meditationen in ihren Alltag ein, wenn es möglich ist, und versucht, genug zu schlafen. Denn neben einem gesunden Körper ist auch eine ausgeglichene Psyche wichtig für Astronauten, die auf sehr engem Raum zusammenleben und -arbeiten müssen. „Die Handlungen eines einzelnen Astronauten können schwerwiegende Konsequenzen für die ganze Mission haben“, macht Insa deutlich. Deshalb werde im Auswahlverfahren nach verlässlichen, professionell agierenden Charakteren gesucht. Eigenschaften, die Vater und Tochter beide mitbringen.

Gegen 400 andere Bewerberinnen hat sich Insa durchgesetzt. Übrigens ohne die Beziehung zu ihrem Vater zu nutzen. Im Auswahlverfahren wusste niemand, dass sie Gerhard Thieles Tochter ist. Als sie es schließlich geschafft hatte, reagierte ihre Familie „erfreut, aber unaufgeregt.“ Dafür war es Insa umso mehr, denn sie ahnte, dass die Raumfahrausbildung ihr Leben auf den Kopf stellen würde. „Ich weiß noch genau, dass ich an jenem Abend so neben mir stand, dass ich mir mit der Rasiercreme meines Mannes die Zähne geputzt habe“, lacht sie. Es dauerte einige Tage, bis sie sich so richtig freuen konnte.

© manfred h. vogel

Seither wird sie immer wieder interviewt, ist im Fernsehen und im Radio präsent. Sie hat einen eigenen Wikipedia-Eintrag und ein Buch veröffentlicht. Im Training ist sie über Grenzen gegangen, hat viel gelernt und Abenteuer erlebt. „Man steigt eben nicht in ein Raumschiff, wie in einen Bus“, sagt Insa. Zum Basistraining gehören neben der theoretischen Ausbildung in Raumfahrttechnik auch Tauch- und Flugprüfungen, Raketensimulationen, Parabelflüge und Trainingseinheiten in der Zentrifuge. Im Frühsommer ist in Houston eine Raumschiff-Notlandung im Wasser geplant. Im Spätsommer wird Insa beim Tauchtraining in Marseille lernen, in völliger Orientierungslosigkeit zu arbeiten.

Ein Berufsleben, das nicht weiter von ihrem privaten Alltag in Königswinter entfernt sein könnte. Die Frage „Kann ich Mutter sein und gleichzeitig Astronautin?“, hat sie sich trotzdem nie gestellt, sondern ihr Leben einfach weitergelebt. Ihr Jüngster ist gerade vier Monate alt und Insa arbeitet 120 Prozent - 70 an der Uni Bonn und 50 bei ‚Die Astronautin‘“. Wie das geht? „Indem ich flexibel arbeite. Viel von Zuhause aus, auch mal nachts und am Wochenende.“ Wenn Dienstreisen anstehen, nimmt sie ihren Sohn mit, denn sie stillt noch. Ansonsten kümmert sich ihr Mann um die Kinder. Er hat gerade eine einjährige Elternzeit begonnen.
Für ihre Lebensweise muss Insa auch gelegentlich Kritik einstecken. „Ich bin da eigentlich ziemlich immun. Aber einmal sagte jemand, ich sei eine komische Mutter. Das hat mich dann doch verletzt.“ Denn auch wenn die Zeit knapp ist und ihr Leben viel Organisation erfordert, wollen beide Elternteile das Beste für die Kinder. „Unsere Große war in diesem Schuljahr kaum in der OGS, weil ich nachmittags zu Hause sein konnte“, sagt Insa froh. Stattdessen sieht man die Astronautin und ihre Kids fast täglich auf dem Spielplatz. Und wenn es doch mal wieder viel war, werden alle Termine gecancelt und gibt es ein gemütliches Familienwochenende vor dem Kamin - mit Picknick, Kuscheln und Geschichten.