Rafik Schami

Syrisch-deutscher Schriftsteller und ein promovierter Chemiker

Rafik Schami erzählt – nein, er sprudelt wie ein Springbrunnen in einem arabischen Innenhof. Seine Bücher zu lesen, aus deren Zeilen Bilder und Melodien Syriens emporsteigen ist ein Genuss. Ihn jedoch erzählen zu hören mit seinem samtigen Akzent, der ausholenden Gestik und dem Lachen in Gesicht und Stimme macht deutlich: Das ist seine Königsdisziplin. Rafik Schami hält keine Lesungen, er erzählt aus seinen Büchern und die Zuhörer hängen gefesselt an seinen Lippen.

Warum er das tut? Weil er Araber ist. Denn, so erklärte er beim Tübinger Bücherfest, Araber hat die Wüste geprägt und ihnen die zauberhafte Farbe der Worte geschenkt, während die bildende Kunst ihnen eher fern sei. „Was wollen Sie in der Wüste malen? Hundert Kilometer Gelb?“, fragt er ins lachende Publikum. In der Wüste ruhe das Auge, dafür werde der Mund tätig. „Da liegt der Beduine, guckt sein Kamel an und fragt sich: Wie kann ich es anders nennen? Und er findet neunzig Synonyme für das Kamel.“

Araber malen mit Worten und haben in der Tat einen wesentlich reicheren Wortschatz zur Verfügung, als deutschsprachige Autoren. Während die schreibende Zunft hierzulande gerne spartanisch formuliert, wirft der arabische Erzähler mit Adjektiven um sich, wie ein Koch mit exotischen Gewürzen. Rafik Schami überträgt diese Fülle ins Deutsche und verhilft seinen Geschichten damit zu einer wundervoll mutigen Poesie. Das Fabulieren hat er von Kind auf gelernt. Schon sein Großvater, ein reicher Bauer aus dem aramäischen Ort Maalula, lebte diese Leidenschaft gerne aus, indem er seinen Enkeln stundenlang erzählte.


Sehnsucht nach Damaskus


Schami macht seinen Lesern und Zuhörern das zum Geschenk, was er einst als junger Mann aus seiner Heimat ins deutsche Exil mitbrachte. Er nimmt sie mit in das Syrien seiner Kindheit, ins christliche Viertel von Damaskus. Lässt sie hören, riechen, schmecken, was er als kleiner Junge liebte. Zum Beispiel Brombeereis an einem heißen Tag, wie er im Interview mit dem Borromäusverein verrät. Dieser Sommergeschmack auf der Zunge gehört zu seinen ersten Erinnerungen. So wie das Murmelspiel in der Gasse, bei dem er aufpassen musste, dass ihn „die raffinierten kleinen Gauner nicht reinlegten“ oder der erste Anzug, den er mit acht Jahren zu Ostern bekam.

62 Jahre ist das jetzt her. Am 23. Juni 2016 wird Rafik Schami siebzig. Und er blickt auf ein Leben zurück, das anders verlaufen ist, als er es sich in diesen ersten glücklichen Jahren vielleicht ausgemalt hat. Ein Leben in Europa, mehr als 3.700 Kilometer von seiner Familie entfernt. Es ist das Jahr 1970, als er in die Libanon flieht -  weg von der neuen Diktatur, dem Militärdienst und der Zensur in seinem Land. Zuvor war die von ihm gegründete und geleitete Wandzeitung Al-Muntalak in Damaskus verboten worden. Zurück lässt er Eltern, Geschwister und Freunde, die Straßen seiner Kindheit und seinen Studienplatz für Mathematik, Chemie und Physik an der Universität Damaskus.

Im Gepäck hat er die Liebe, für diese schöne und uralte Stadt und die Menschen dort. Seit 45 Jahren lebt er nun in Deutschland. In den Siebzigern studiert und promoviert er als Chemiker in Heidelberg, während er zugleich - „zwei Seelen wohnen in meiner Brust“ - zum Literaten wird. 1978 erscheint mit „Andere Märchen“ ein erstes Buch in deutscher Sprache. Aus dem Einwanderer Suheil Fadél wird Rafik Schami, der „Freund aus Damaskus“: Bedeutender deutscher Schriftsteller, erfolgreichster syrischer Autor weltweit - Vermittler zwischen Orient und Oxident.

Janina Mogendorf


Ein eigenes Heimatarchiv


Wie er seine Erinnerungen so lebendig hält? „Ich habe schnell begriffen, dass mein Wunsch, Damaskus bald wieder zu sehen, eine Illusion war“, sagt Schami und so holt er sich die alte Heimat nach Deutschland. „Ich habe alles, was es in Bild, Ton und Wort gab, gesammelt.“ Nach und nach baut er sich ein umfangreiches Archiv auf, aus Dokumentarbänden über Märkte und Sitten, Geschichte und Kultur, aber auch aus Stadtkarten, Liedern, Theaterstücken, Zeitschriften und Fotos. Es macht die Sehnsucht erträglich und seine Geschichten authentisch.

Mit seinem Fundus habe er in Deutschland sogar besser recherchieren können, als es ihm vor Ort möglich gewesen wäre, „weil ich unzensiert und ohne ‚rote Linien‘ recherchieren und schreiben konnte“, sagt er heute. Diese roten Linien sind es, die ihn in all den Jahren davon abhalten zurückzugehen. Weder seine Frau, die Malerin und Schriftstellerin, Root Leeb, noch sein 24-jähriger Sohn Emil haben das Land, das Schami in seiner Fantasie bereist, jemals gesehen. 

Nur wenige wissen, dass er im Jahr 2009 das Angebot bekommen hat, nach Syrien zurückzukehren und ein Kulturhaus in Damaskus zu eröffnen. Schami denkt lange darüber nach und entscheidet sich dagegen. Er habe sich vorgestellt, am Flughafen von einem Verbrecher - dem Innenminister - empfangen zu werden und dann habe er sich gefragt: „Welche Hand schüttele ich da?“, erzählt er im Deutschlandfunk. Fehlende Freiheit, fehlende Würde und fehlende Demokratie, all die Gründe, die ihn ins Exil getrieben haben, existieren immer noch, haben sich verschärft. Eine Situation, die „einen Schriftsteller auf lange Sicht erstickt.“

Janina Mogendorf


Er schreibt und schreibt und schreibt


Also bleibt Schami in Deutschland und schreibt Bestseller. „Eine deutsche Leidenschaft namens Nudelsalat und andere seltsame Geschichten“ (dtv, 2011) umfasst liebevolle, kopfschüttelnde und charmante Erzählungen über deutsch-syrische Begegnungen und deutsche Eigenheiten aus dem Blick eines heimisch gewordenen Fremden. Auch „Die Frau, die ihren Mann auf dem Flohmarkt verkaufte“ (Hanser, 2011) wird zum Erfolg. Ein sehr persönliches Buch mit Geschichten, die den Leser in die Damaszener Altstadt der fünfziger Jahre entführen und klären, warum Schami zum Erzähler wurde. 

In seinem neuesten Buch „Sophia oder der Anfang aller Geschichten“ verarbeitet Schami nun offensichtlich die Gedanken, die er sich zu seiner eigenen möglichen Rückkehr gemacht hat. Der Thriller – sein bisher politischstes Buch - greift die Situation Syriens im arabischen Frühling auf. Zu einer Zeit, in der das Land zu beben begann. Salman, ein syrischer Christ, kehrt 2010 nach vierzig Jahren aus dem italienischen Exil nach Damaskus zurück. Schon bald verstrickt er sich in einem gefährlichen Netz aus Geheimdienstmachenschaften und Sippenwirtschaft. Nur Karim, die Jugendliebe seiner Mutter Sophia kann ihn retten.

Rafik Schami nimmt seine Leser einmal mehr mit auf eine Reise vom Syrien der Nachkriegsjahre, bis in die heutige Zeit, kurz vor Ausbruch der Revolution. Er zeichnet das Bild von einem Land, einst multikulturelle Oase im Nahen Osten, in dem das Böse sich verselbstständigt hat und in dem doch Menschen leben, die menschlich geblieben sind. Die lieben und füreinander einstehen, geben und nehmen, ohne es gegeneinander aufzurechnen. Das einzige, was noch hilft in einem Alltag, der von Angst und Gewalt bestimmt ist.

Janina Mogendorf


Verständnis vermischt sich mit Schmerz


Rafik Schamis „tägliche Sorge“, ist der Gedanke an seine Familie, die immer noch in der syrischen Hauptstadt lebt, mitten im vom Bürgerkrieg und Terror geschüttelten Land. Schami telefoniert regelmäßig mit seinen Geschwistern. Am liebsten hätte er sie außer Landes gewusst. „Ich habe ihnen eine Wohnung in Beirut angeboten, aber sie wollen Damaskus nicht verlassen“, erzählt er. Seine Schwester Marie habe es am besten formuliert: „Damaskus, diese großartige Stadt, hat uns viel gegeben und wir bleiben in ihrer Krise bei ihr.“

In Schamis Verständnis mischt sich der Schmerz: „Wie soll man sich fühlen, wenn stolze, gastfreundliche, wunderbare Menschen nun gedemütigt, verfolgt und getötet werden von ihrem eigenen Regime und den Mördern, die aus aller Welt Syrien aufsuchen.“ Und doch gibt es bei aller Bitternis auch viel Dankbarkeit für all jene, die helfen. „Ich bin sehr gerührt vom Engagement der deutschen Bevölkerung, die aus ihrer Geschichte lernend mit offenen Armen zu den Flüchtlingen rannten“, sagt Schami, der sich daher umso lauter gegen Rassisten und Populisten positioniert.

Janina Mogendorf

„Exil ist die Plage des 21. Jahrhunderts“, sagt Rafik Schami in einem ARD-Interview. Und so gibt er die Hoffnung nicht auf, eines Tages wieder nach Syrien reisen können. Mit seinem Sohn möchte er in den Gassen seiner Stadt Murmeln spielen, so wie er es ihm vor vielen Jahren versprochen hat. Bis dahin lässt er die Sehnsucht nach dem Ort seiner Kindheit aufs Papier fließen, damit es die Verletzung heilt, die der Verlust von Heimat immer bedeutet. „Aber am Ende“, sagt Rafik Schami, „am Ende, wenn das Buch geschrieben, die Geschichten erzählt sind, ist sie nur noch größer geworden. Die Sehnsucht nach Damaskus.“

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