Susan Kreller-Fotografin Ellen Runa Kara, Notenband - fotolia.de

Susan Kreller

Schriftstellerin, Journalistin und Literaturwissenschaftlerin

Wenn Susan Kreller schreibt, dann wirkt es, als würde sie mit der Sprache tanzen. Im rhythmischen Klappern ihrer Tastatur entstehen lebendige Schrittfolgen zur Satzmelodie und wo die Worte fehlen, improvisiert sie neue. Etwa „Nachtspuren“, die sie in der Dunkelheit im Schnee hinterlässt. Oder „Knöchelkraft“, welche die Intensität des Klopfens an eine Zimmertür verrät. Eine Stimme ist „zerkratzt“, eine Träne „zu groß geraten“. Worte und Wendungen, die so nicht im Duden stehen. Noch nicht.

Es sind vor allem die tragischen Geschichten des Lebens, die die Jugendbuchautorin zu Papier bringt. „Als ich angefangen habe zu schreiben, hat keiner meiner Protagonisten die Geschichte überlebt“, schmunzelt sie. „Am Ende waren sie immer alle tot.“ Damals ist sie 16 Jahre alt und entdeckt in ihrem Deutschbuch Kurzgeschichten, die sie so in den Bann ziehen, dass sie mit dem Schreiben beginnt und nie wieder aufhört.

Heute überleben die Hauptfiguren ihrer Bücher meist, auch wenn sie zwischendurch tausend Tode sterben. „Ich habe gemerkt, dass es viele Spielarten der Tragik gibt. Es muss nicht immer der Tod sein“, sagt sie. Der lauere sowieso überall, dann müsse er nicht auch noch gewinnen. Etwas anders wird das in ihrem neuen Buch, das im Sommer 2017 erscheint und von einer Frau handelt, die im Alter von 84 Jahren beginnt, sich zu wehren und ein zuversichtlicher Mensch zu werden.

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„Ich mag alte Menschen“


Wie kommt es, dass sich die Autorin nach zwei erfolgreichen Jugendbüchern jetzt dem Alter zuwendet? „Ich mag alte Menschen“, sagt sie. „Das war schon immer so.“ Und in der Tat tauchen auch in ihren anderen Geschichten ältere Menschen auf - besondere, charaktervolle Persönlichkeiten, die etwas zu sagen und zu geben haben. „Für mein Buch gehe ich seit einem Jahr regelmäßig in ein Altenheim und unterhalte mich mit den Bewohnern. Danach komme ich immer reich beschenkt nach Hause.“ 

Ein Interesse für Menschen hatte Susan Kreller wohl schon immer. Wirklich bewusst wird es ihr, als sie 1998 während ihres Germanistik- und Anglistikstudiums ein Auslandsjahr in Irland verbringt. „Dort habe ich in einem Spätverkauf an der Kasse gearbeitet und da ist es mir richtig aufgefallen“, erzählt sie. Menschen beobachten und ihnen zuhören, ist ein wichtiger Teil ihres Schreibens. „Oft sitze ich im Café und belausche Gespräche. Dabei bekomme ich ein Gespür dafür, wie Dialoge in meinen Geschichten angelegt sein müssen, damit sie natürlich klingen.“

Das ist Susan Krellers Art eine Geschichte anzugehen: diszipliniert, geplant, Schritt für Schritt. Bevor sie auch nur ein Wort geschrieben hat, steht bereits die gesamte Struktur und auch das Ende ist klar. „Ich bewundere Autoren, die einfach so losschreiben, aber ich selbst brauche das Gerüst.“ Alles andere ist veränderbar. „Es kommt immer wieder vor, dass sich ein Charakter verselbständigt, auch wenn ich vorher alles genau geplant habe.“

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Eintauchen in die Buchwelt


Während des Schreibens, das sie ihrer Familie zuliebe auf normale Arbeitszeiten beschränkt, taucht sie völlig in die Welt ihrer Geschichte ein. Morgens, wenn sie ihre neunjährige Tochter zur Schule gebracht hat, macht sie oft einen langen Spaziergang und dann ist sie drin. „Nachmittags muss ich dann wieder auftauchen aus meiner Buchwelt. Das ist gar nicht so leicht.“ Die Figuren in ihren Büchern, werden zu Freunden, die sie auch dann nicht verliert, wenn sie eine Geschichte nach langen Monaten beendet hat.

Da ist Mascha aus ihrem ersten Jugendroman „Elefanten sieht man nicht“. Ein Mädchen, das nach dem Tod ihrer Mutter alleine mit ihrem Vater lebt und die Sommerferien bei ihren Großeltern verbringt. Irgendwann bekommt sie mit, das zwei Kinder in dieser idyllischen Vorstadtnachbarschaft misshandelt werden. Mascha versucht zu helfen und macht dabei mit gutem Willen vieles falsch.

Und da ist Adrian, aus ihrem zweiten Roman „Schneeriese“ - 14 Jahre alt und mit 1,94 Metern übergroß. Das macht aber nichts, denn er hat Stella - seine beste Freundin, Nachbarin und heimliche Liebe. Bis sich Stella in einen Jungen aus Georgien verliebt, der ins Dreitotenhaus gegenüber zieht und auch ein Geheimnis wahrt. Von heute auf morgen ist alles anders und Adrian erlebt in seinem Schmerz einen inneren und äußeren Winter, der klirrender kaum sein könnte.

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„Es ist immer schon Andersen gewesen“


Es ist Hans Christian Andersens Märchen „Schneekönigin“, das Adrian und Stella seit ihrer Kindheit begleitet und das Susan Kreller im „Schneeriesen“ neu interpretiert. Die Autorin hat eine besondere Beziehung zu dem dänischen Dichter. „Es ist immer schon Andersen gewesen“, sagt sie und erzählt, wie sie beim Schreiben in der Unibibliothek Bielefeld auf einen Märchenband stieß. Neben der „Schneekönigin“ flossen dann auch „Die kleine Meerjungfrau“ mit dem Motiv der unerfüllten Liebe und das „Mädchen mit den Schwefelhölzern“ in die Geschichte ein.

„Ich mag diese melancholische Grundstimmung der Andersen-Märchen und diese große Vergeblichkeit in vielen Dingen“, sagt Susan Kreller, die sich selbst ebenfalls als melancholischen Menschen bezeichnet. „Aber ich lache auch sehr gerne. Beides gehört für mich zusammen.“ Und es zeigt sich in ihren Geschichten, wenn in all dem persönlichen Leid und der Tragik immer wieder ein besonderer Humor hervorblitzt.

Schreiben, das ist für Susan Kreller Herausforderung und Erleichterung zugleich. Herausfordernd in der Suche nach einer richtigen Formulierung, für Dinge, für die es keine Sprache gibt. Und erleichternd, weil sie vieles, was ihr im Leben wiederfährt, schreibend besser aushalten kann. „Es macht unschöne Erlebnisse viel erträglicher, wenn ich weiß, dass ich sie in meine Bücher einbauen kann. Ich denke dann immer: Mensch, jetzt habe ich dieses Gefühl auch erlebt und kann es in Worte fassen.“

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Ein Erbe ihres Großvaters


Worte, Geschichten, Bücher – für Susan Kreller sind sie existenziell. Vermutlich ein Erbe ihres Großvaters, der eine eigene Bibliothek zu Hause hatte. „Ich war erst vier Jahre alt, als er starb. Aber von der Bibliothek ist mir ein Bild geblieben. Hohe dunkle Holzregale an den Wänden und sogar mitten im Raum. Da gab es richtige Gänge. Ich habe so etwas in einem Privathaus nie wieder gesehen.“ Ihr Großvater habe immer einen Krimi schreiben wollen, dazu sei es aber nicht mehr gekommen. Ihr Schreib-Talent, vielleicht hat sie es von ihm geerbt. „Das würde mir gut gefallen.“

Wenn Susan Kreller nicht Schriftstellerin geworden wäre, hätte sie auf jeden Fall trotzdem mit Büchern und Geschichten gearbeitet. Dass sich ihr Traum erfüllt hat, ist für sie ein Art Lottogewinn und in der Tat war ihr Weg zum ersten Buch ungewöhnlich. „Nachdem ich beim Carlsen-Verlag eine Kurzerzählung veröffentlicht hatte, fragte man mich im Jahr 2009, ob ich nicht einen Roman schreiben würde.“ Der Tagtraum eines jeden Autors. „Ich bin immer noch sehr dankbar dafür.“ Auch dafür, dass sich der Verlag auf eine Geschichte über Kindesmisshandlung eingelassen hat, denn „solche Themen sind keine natürlichen Verkaufsschlager.“

Und doch wird das Buch „Elefanten sieht man nicht“ ein großer Erfolg. 2013 wird Susan Kreller für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert und erhält das Kranichsteiner Jugendliteratur-Stipendium, das ihren zweiten Roman ermöglicht. „Schneeriese“ wird mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet. „Ich habe Glück, dass die Menschen meine Bücher lesen wollen.“ Auch Jugendliche, die Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache haben. „Manche sagen, dass sie die Geschichte gut finden, auch wenn sie nicht alles verstehen. Man sollte seine Leser nicht unterschätzen.“

Selbstverständlich ist der Erfolg für sie nicht. „Ich freue mich darüber, aber ob es so weitergeht, werden meine nächsten Bücher zeigen.“ Ideen hat sie viele. „Sie reifen bei mir über Jahre.“ Ein Thema, das die gebürtige Sächsin aus Plauen mit sich herumträgt, ist die Kindheit in der DDR und ihre Wendeerfahrung. „Ich war zwölf, als mein Leben plötzlich ganz anders wurde. Es war gut, aber auch verwirrend.“ So verwirrend, dass es ihr noch zu früh ist, um dieses Kapitel aufzuschlagen. „Ich habe meine Gefühle von damals noch nicht so verstanden, dass ich eine Geschichte darüber schreiben kann. Aber das kommt - irgendwann.“

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