Anna Woltz ist eine der erfolgreichsten, mehrfach ausgezeichneten Kinderbuchautorinnen der Niederlande. 1981 in London geboren wuchs sie in Den Haag auf, studierte Geschichte in Leiden und arbeitete fortan als Autorin und Journalistin. Im letzten Jahr hat sie den Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis verliehen bekommen. Für den Borromäusverein steht sie für ein Interview zur Verfügung, obwohl die Zeit knapp ist, seit ihr Sohn auf der Welt ist. Die Fragen hat Antje Ehmann gestellt.
Frau Woltz, können Sie uns von Ihrer ersten Erinnerung an ein Buch oder eine mündlich erzählte Geschichte berichten?
Ich erinnere mich nur zu gut, wie enttäuscht ich war, als ich mit sechs Jahren angefangen habe, lesen zu lernen. Meine Mutter hat mir Jahr für Jahr die wundervollsten Geschichten vorgelesen und jetzt sollte ich all diese einfachen, langweiligen Erstlesebücher lesen. Aus heutiger Sicht verstehe ich, warum man mit einfachen Worten und Sätzen beginnt. Aber damals bin ich einfach in Streik getreten und habe ein Jahr lang kein einziges Buch gelesen. Ich habe meiner Lehrerin klipp und klar erklärt, das ich mich weigere, diese dämlichen Bücher zu lesen. Aber dann kam ein Tag, der alles änderte. Wir waren im Sommerurlaub, mir war langweilig und ich nahm "Wir Kinder von Bullerbü" von Astrid Lindgren aus dem Bücherregal. Aus dem Stand war ich in der Lage, dieses Kinderbuch zu lesen. Und das war das Ende meines Buchstreikes!
Waren Sie ab diesem Moment auch weiterhin eine begeisterte Leserin?
Ja, jeden Nachmittag und an den Wochenenden liebte ich es in einer "make believe", einer "so als ob" Welt zu leben. Entweder hatte ich ein Buch zu lesen, oder ich habe Schule oder Krankenhaus gespielt. Oder ich habe mit meiner Schwester Tierparty gespielt, mit all unseren Kuscheltieren.
„Als Kind, als Teenager, als Studentin und als ich die Universität dann beendet hatte, gab es eigentlich immer nur eine Sache, die ich über mich gesagt habe: Ich bin Autorin."
Wann haben Sie Ihre erste Geschichte geschrieben?
Mit zwölf Jahren habe ich meine erste Geschichte geschrieben. Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich wie eine Verrückte jedes Buch verschlungen bis ich irgendwann dachte: warum entscheiden eigentlich immer andere darüber, was in einer Geschichte passiert? Ich wollte meine eigenen Geschichten schreiben und darüber entscheiden! So fing ich dann mit dem Schreiben an und es dauerte bis ich 17 Jahre alt war. Aber immerhin: dieses Buch wurde dann
2002 veröffentlicht "Alles kookt over".
Gab es einen bestimmten Auslöser für Ihren Entschluss, Schriftstellerin zu werden?
Nein, eigentlich nicht. Weil ich ja schon so früh mit dem Schreiben begonnen habe, kam ich mir eigentlich schon immer wie eine Schriftstellerin vor. Um ehrlich zu sein, habe ich über diese Frage nie nachgedacht. Als Kind, als Teenager, als Studentin und als ich die Universität dann beendet hatte, gab es eigentlich immer nur eine Sache, die ich über mich gesagt habe: Ich bin Autorin.
Erinnern Sie Momente, in denen Sie diese Berufswahl bereut haben?
Nein, keinen einzigen Moment lang habe ich das bereut. Ich liebe das Schreiben über alles. Es ist so ein großer Teil meines Lebens, das ich mir wirklich nicht vorstellen könnte, es nicht zu tun. Das meint aber nicht, dass Schreiben immer einfach oder sehr entspannend für mich ist - ganz im Gegenteil: Es ist immer sehr aufregend, ein neues Buch zu beginnen. Und ich bin mir nie sicher, ob es gut genug wird, bis ich damit fertig bin. Aber genau das liebe ich am Schreiben: es ist das Komplizierteste, was mein Gehirn macht und es macht, das ich mich sehr lebendig dabei fühle.
War es denn schwer, für Ihr erstes Buch einen Verlag zu finden?
Mein erstes Manuskript habe ich gleich vier Verlegern geschickt und nur einer davon zeigte Interesse. Die anderen haben gefühlt Jahre gebraucht, bis ich eine Antwort von ihnen bekommen habe. Gut war, dass ich währenddessen ja noch auf der Schule und dann ein Jahr im Ausland war, so dass ich nicht jeden Tag vergeblich auf den Postboten gewartet habe … Aber ab und zu dachte ich schon "Na, ich bin ja doch gespannt, was sie zu meinem Manuskript sagen werden…"
Hätten Sie damals gedacht, eines Tages eine so erfolgreiche Autorin zu werden?
Nein, gedacht nicht, aber definitiv gehofft. Jeder hofft auf Erfolg, und dass viele Menschen seine Geschichten lesen wollen. Sonst würde man die Bücher ja nicht veröffentlichen. Ich brauche auch die Rückmeldung der Kinder, denn das Schreiben kann auch sehr einsam und frustrierend sein. Dann ist es einfach großartig zu wissen, dass es da draußen Kinder gibt, die meine Bücher lieben und manche Geschichte wieder und wieder gelesen haben. Wenn ich mal wieder mehrere Wochen lang an einem einzigen Kapitel gearbeitet habe, dann ist der Blick auf mein Buchregal schon sehr ermunternd: Da stehen dann die Übersetzungen in zwölf verschiedene Sprachen von einem Kinderbuch von mir!
Finden Sie Ihre Arbeit eigentlich angemessen bezahlt?
Oh, das ist eine kniffelige Frage, die Sie mir da stellen. Klar wäre es toll, wenn ich noch besser bezahlt werden würde, aber mittlerweile kann ich mich nicht mehr beschweren. Ich verdiene meiner Meinung nach genug und kann das beruflich machen, was ich am meisten liebe. Trotzdem ist es lächerlich, Anfragen zu bekommen, einen Artikel oder eine Kolumne umsonst zu schreiben. Das wundert mich schon sehr, denn ich muss doch für meine Arbeit, so wie alle anderen auch, bezahlt werden, oder etwa nicht?
Was macht Ihnen Spaß beim Schreiben und was ist eher mühsam?
Wenn ich beginne, eine Szene zu schreiben, dann sehe ich sie wie eine Filmszene vor meinem inneren Auge. Das schwierige daran ist, die Szene genau so, mit allen Emotionen und den Charakteren und deren Entwicklung zu schreiben und zu beschreiben, wie ich sie sehe. Das
genau so kraftvoll hinzukriegen, das ist nicht einfach. Am meisten Spaß macht es mir, Szenen zu erfinden, sehr romantische, lustige Szenen, Geheimnisvolles - all das eben, woraus die großartigen Geschichten von Frances Hodgson Burnett "Der geheime Garten" oder Edith Nesbit "Die Eisenbahnkinder" gemacht sind.
2017 haben Sie den Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis für "Gips oder Wie ich die Welt an einem einzigen Tag reparierte" bekommen und viele andere Preise in den letzten Jahren? Was bedeutet Ihnen das?
Dieser Preis war eine große Ehre für mich und ich habe es zutiefst bedauert, dass ich den Preis nicht persönlich entgegennehmen konnte. Ich hatte allerdings einen guten Grund. Schwanger in der 36. Woche und ohne Flugerlaubnis. Für mich bedeuten Preise im Grunde, dass ich mehr Leute mit meiner Arbeit erreichen kann und Anerkennung für das bekomme, was ich mache. Und das ich diese Anerkennung in den Niederlande und in anderen Ländern, beispielsweise Deutschland, bekomme, ist natürlich wundervoll. Da spielt die Übersetzerin eine entscheidende Rolle. Andrea Kluitmann versteht meine Bücher wirklich und sie ist absolut fabelhaft.
Was schätzen Sie an Kindern und Jugendlichen?
Ich liebe es einfach, wie ehrlich, ungeschliffen und offen sie sind - sie kennen ja all die gesellschaftlichen Konventionen noch nicht und das ermöglicht ihnen einen sehr erfrischenden Blick auf die Welt. Ich versuche meinen Figuren genau diesen Blick mitzugeben. Kinder erleben vieles zum ersten Mal und auch das hat seinen ganz besonderen Zauber.
Können Sie sich an eine Rückmeldung erinnern, die Ihnen besonders viel Freude gemacht hat?
Ja, gerade letzte Woche habe ich eine Mail von einem Mädchen bekommen, die "Hundert Stunden Nacht" ganz, ganz oft gelesen hat. Ihr Lieblingsbuch, wie sie mir versichert hat. Nun wollte Sie unbedingt von mir wissen, wie es mit den Figuren weitergeht. Erwachsene lesen vielleicht das ein oder andere Buch nochmal, wenn es Ihnen gut gefallen hat, aber wenn Kinder von einer Geschichte begeistert sind, dann lesen sie das Buch auch zehnmal. Ich habe das gemacht. "Ronja Räubertochter" habe ich zwölfmal gelesen und dann fühlt sich die Hauptfigur wie eine gute Freundin an.
Was hat sich für Sie in Bezug auf das Schreiben verändert, seit Sie einen Sohn haben?
Alles! Er ist jetzt acht Monate alt und geht seit Neustem an zwei Tagen in der Woche in die Krippe. Das bedeutet für mich, dass ich nach acht Monaten wieder Zeit habe, Schulen zu besuchen, aber noch lange keine Zeit finde, zu schreiben! Wenn er Mittagsschlaf macht, setzte ich mich kurz an den Computer, um ein paar Mails zu schreiben. Das ist aber momentan auch schon alles in der Richtung. Obwohl,
ich schreibe noch an einer Poetikvorlesung, die ich im Mai halten werde. die "Annie M.G. Schmidt Lecture" - eine alljährliche Veranstaltung zur Kinderliteratur. Aber es macht mir nichts aus. Ich habe 22 Bücher geschrieben und er ist mein erstes Kind. Gerade gibt es nichts Spannenderes für mich, als mich mit meinem Sohn zu beschäftigen. Das nächste Buch kann warten, er nicht!
Wie lange dauert es ungefähr, von der ersten Idee bis zum fertigen Buch und wie sind Sie auf die Idee zu ihrem neuesten Buch "Für immer Alaska" gekommen?
Ach, so um die anderthalb Jahre, aber das war so, bevor ich meinen Sohn bekommen habe. Wer weiß, wie sich das ab jetzt gestaltet. Auf das Hundethema bin ich gekommen, weil mir jemand von einem Kind und seinem Hilfshund erzählt hat. Ich liebe Hunde und finde es faszinierend, wie sehr sie in der Lage sind, Menschen wirklich in ihrem täglichen Leben zu helfen. Und so fing meine Recherche zu diesem Buch an. Das Beste daran war, dass ich mit vielen Menschen sprechen konnte, die einen Hilfshund haben und ich habe auch eine Schule für diese Hunde besucht.
Welche Lesungen und Reisen stehen in diesem Jahr an für Sie?
Im März werde ich nach Deutschland reisen und auf der lit.COLOGNE aus "Für immer Alaska" lesen. Dann bin ich noch auf der Münchner Bücherschau junior und besuche etliche Schulen und Bibliotheken in den Niederlanden. Im Herbst habe ich noch nicht so viele Reisen geplant. Da hoffe ich sehr, endlich wieder an einem neuen Buch zu arbeiten.
Vielen Dank für das interessante Gespräch!
Das Interview führte Antje Ehmann.