"Ich habe als Kind gespielt und gehört"

Interview mit Martin Baltscheit

Antje Ehmann

Martin Baltscheit möchte Inspirationsfunke sein - für das Lesen, das Schreiben, die Bildung und die Liebe zur Sprache. Der Künstler hat im Frankfurter Römer am 3. November für "Krähe und Bär" den Deutschen Kindertheaterpreis 2016 verliehen bekommen. Das Hörspiel "Krähe und Bär oder Die Sonne scheint für uns alle" (Oetinger audio) stand auf der Nominierungsliste 2016 des BEO. Als Kinderbuch wird es im nächsten Jahr mit Illustrationen von Wiebke Rauers bei Dressler erscheinen.

Ein willkommener Anlass, dem vielseitigen, wortgewandten und sympathischen Künstler ganz herzlich zu gratulieren und ihm ein paar Fragen zu stellen:

An welches Buch aus Ihrer Kindheit erinnern Sie sich? Wer hat Ihnen vorgelesen?

Meine Mutter hat selbst viel gelesen und auch mir immer vorgelesen. An mein erstes eigenes Buch kann ich mich mehr an die Haptik als an einen einzelnen Titel erinnern. Meine Schwester und ich haben als Kinder auch sehr oft Schallplatten gehört. Ich habe die Stimmen auf den Platten schon immer geliebt und gleich gemerkt, wenn beispielsweise jemand seine Stimme verstellt hat. Auch bei den Filmen habe ich mir gemerkt, welcher Schauspieler wen synchronisiert hat.

Meine Schwester und ich haben viele Europa-Schallplatten gehabt. Walt Disney, Eigenproduktionen mit deutschen Sprechern, aber auch die Klassiker wie Alice im Wunderland oder Heidi. Wir hatten ungefähr 50 bis 60 Platten und haben immer gespielt und dabei zugehört. Wie alle Kinder zu jeder Zeit und meine Jungs heute auch. Wenn ich von fünf Jahren Kindheit ausgehe, haben wir die Platten bestimmt 1000 mal gehört. 30 Jahre später habe ich sie nochmal auf den Plattenspieler gelegt und alles, was ich als Kind gut fand, habe ich auch als erwachsener Kreativer für gut befunden: klasse gemacht und klasse gesprochen. Unglaublich, aber Kinder merken den Unterschied! Die Qualität von damals war auch immer noch Qualität für mich.

Schauspieler oder Sprecher - was liegt Ihnen mehr?

Ich wollte immer Sprecher werden. Aber zunächst habe ich fünf Jahre Kinder- und Jugendtheater gespielt, vor allem die Grips-Theaterstücke im Jungen Ensemble Düsseldorf. Im Spektakulum spek.spektakulum.net hat Reinhold Tritt dann mit uns gearbeitet. Da habe ich mit 15 Jahren das Schauspielhandwerk gelernt. Das war eine wunderschöne Zeit. Übrigens ist das auch der Grund, warum ich immer noch so gerne für das Kinder- und Jugendtheater schreibe. Dann habe ich mich aber nach meinem Studium - Kommunikationsdesign an der Folkwangschule in Essen - auf das Illustrieren konzentriert. Eine glückliche Entscheidung, denn für mich ist die Schöpfung, das selbst erfinden das großartigere Gefühl.


Welche Rolle spielen Bibliotheken für Sie?

Bibliotheken spielen eine große Rolle für mich. Genau so schön wie die Buchpreisbindung ist die Erfindung von Bibliotheken. Auch die Bibliothekstantiemen sind eine gute Idee. Wir waren einfache Leute und oft in der Bibliothek. Ich kann mich erinnern, dass immer ein Turm von Büchern bei uns zu Hause stand. Natürlich hatte ich auch einen Bibliotheksausweis. Dann gab es eine Zeit, in der ich immer Erwachsenenbücher ausleihen wollte, weil ich die viel spannender fand. Doch dafür musste ich mir eine extra Erlaubnis holen! Zugang zu allem zu haben, auch ohne Geld - das fand ich immer großartig.

Was bedeutet das Bilderbuch für Sie?

Der Eintritt in die Kulturwelt ist das Bilderbuch - die Mutter aller Künste, wie ich es immer formuliere. Kulturförderung ist sehr wichtig. Deshalb es ist meiner Meinung nach verwunderlich, dass das Bilderbuch nicht mehr gefördert wird - etwa vergleichbar mit dem deutschen Film, der mit knapp einer Milliarde jährlich unterstützt wird. Die erste Berührung mit den bildenden Künsten, mit der Literatur, Bildern, Lüge und Wahrheit sollte mehr Beachtung finden - auch in Kindergärten! Aber da gibt es oft zu wenige aktuelle Bilderbücher. Es ist traurig, wenn dort nur 20 Bücher liegen. Es gibt doch so viele Bücher und immer wieder neue Bücher. Man isst ja auch jeden Tag ein frisches Essen, da kann man auch jeden Tag ein frisches Buch lesen!

Baltscheits beste Bücher - welche Veranstaltung haben Sie besonders gut in Erinnerung?

Ich mache ungefähr 20 Veranstaltungen im Jahr und am liebsten lese ich für Erwachsene mit Kindern. Denn ich schreibe ja auch für Erwachsene. Insofern freue ich mich, wenn auch alle Familienmitglieder - Oma, Opa, Mama, Papa und die Kinder - im Publikum sitzen. Aber ich mag es auch, wenn 300 oder 400 Kinder da sind oder Tagungen wie in Remscheid, wo ich im gerade im Oktober an der Akademie der Kulturellen Bildung ein Werkstattgespräch und eine Bilderbuchlesung gemacht habe.

Was bedeuten Ihnen all die Preise, die sich bisher bekommen haben?

Mit bedeuten diese Preise sehr viel, weil ich kein Auflagenmillionär bin. Sowohl das Geld bedeutet mir etwas, als auch die fachliche und öffentliche Anerkennung. Es nutzt sich nie ab, für seine Arbeit ausgezeichnet zu werden. Ich möchte am liebsten auch mit 80 Jahren noch Preise gewinnen! Wenn die Bücher sich nicht gut verkaufen, muss man eine gute Presse kriegen. Das ist wichtig für den Verlag. "Der Löwe" verkauft sich sehr gut, mit "Löwenherzen weinen nicht!" habe ich ein Erstlesebuch geschrieben und erfreulicherweise ist auch "Eul doch" (Carlsen) schon nach einem halben Jahr in der zweiten Auflage - sowohl das Buch als auch die CD. Das schönste Gefühl ist ja, wenn du gelesen wirst und wenn Du den Leuten etwas mitgeben kannst und sie inspirierst. Ich mache das ja alles, um mich selbst weiter zu bringen und die anderen auch.


Hörbücher - "Simpel", "Zorgamazoo", "Matti, Sami und die drei größten Fehler des Universums" und "Krasshüpfer" - die Liste ist scheinbar unendlich. Was ist das Reizvolle an dieser Arbeit im Tonstudio?

Bei "Krasshüpfer" habe ich viel gefühlt, geweint und sehr intensiv mit dem Text gearbeitet. Im Tonstudio bin ich wirklich weg und tauche ganz tief in die Arbeit ein. Ein düsteres Ding, dieses Buch von Simon van der Geest - passend dazu ein dunkler Raum, alle Fenster zu und wirklich nur das Licht auf dem Papier. Dann einfach den Text von vorne bis hinten durchgelesen und diesen Schmerz und die Angst des Jungen gefühlt und durchlebt. Das macht als lesender Schauspieler Freude. Ich lebe in den Worten und der Literatur eines Kollegen. Die Leistung des Sprechers sollte sein, dass es besser ist, als wenn man es selber lesen würde. Ich habe Glück, denn ich bekomme fast immer nur Anfragen für gute Texte.

Sie arbeiten auch für die Kinderzeitschrift "Gecko" - was mögen Sie daran besonders?

Ja, das ist eine tolle Sache, eine Kinderzeitschrift, die ohne Werbung und Kulturförderung auskommt und die es schafft, sich auf dem schwierigen Markt zu halten. Das ist enorm! Denn es gibt vielleicht in Deutschland insgesamt 10 000 Familien, die in der Art, in dieser Richtung engagiert sind und solche Zeitschriften kaufen. Außerdem findet dank solch einer Kinderzeitschrift auch gleichzeitig eine Förderung der Künstler statt, weil sie die Möglichkeit bekommen, ihre Geschichten und Bilder zu veröffentlichen. Die Zusammenarbeit mit dem "Gecko" ist ganz unkompliziert. Sie fragen mich, ob ich etwas habe, und dann schicke ich etwas.

Warum schreiben und lesen Sie für Kinder und erwachsene Kinder?

Ich bin niemand, der komplizierte Sätze mag. Ich mag schlichte Bilder für komplexe Zusammenhänge finden. Ich erzähle gerne einfach und möchte Dinge so erklären, dass sie gut verständlich sind und man denkt "Ach so, aha". So bin ich einfach veranlagt. Was ich an Kindern sehr mag, auch bei meinen eigenen, ist, dass sie so direkt und unverstellt sind. Und warum ich für Kinder schreibe? Ich weiß es nicht genau. Vielleicht liegt es daran, weil mir meine Mutter so viel vorgelesen hat, aber vielleicht ist auch meine schöne Zeit am Kindertheater der Grund dafür. Für mich war das großartig als Jugendlicher in Düsseldorf - die ersten Erfahrungen mit Mädchen, mit der Bühne, dem Erfolg und Applaus. Sich auszuprobieren und sich zu zeigen - all das, was so in einem steckt!


Herzlichen Dank für das Gespräch!

Antje Ehmann
November 2016
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