Umberto Eco 1932 - 2016
Aubrey - CC BY-SA 1.0

Der Name der Muse

Nachruf auf Umberto Eco

 

von Michael Braun

Umberto Eco konnte nicht schreiben, ohne an das Vergnügen seiner Leser zu denken. Er las Superman-Comics zum Frühstück, sah Bond-Filme nach dem Mittagessen und ging abends Mit Platon ins Stripteaselokal (so der Titel einer seiner schönsten Kurzessaysammlungen, die auf Streichholzschachteln entstanden). Bücher waren sein Leben, und er wusste wie kaum ein anderer vom Leben mit Büchern zu erzählen. Wenn Umberto Eco in eine Bibliothek ging, heißt es, liehen ihn sich die Bücher aus. Ecos Autogramm Bei Lesungen und Signierstunden war er so gefragt, dass die Legende ging, ein Buch ohne Widmung von Eco sei wertvoller als eines mit seiner Unterschrift.
 

Fröhliche Wissenschaft

Auf fröhliche Weise hat Umberto Eco eine lange Zeit unterschätzte Wissenschaft, die Zeichentheorie (Semiotik), geadelt: Er hat wie kein anderer in Lehrbüchern, die lesenswert und nicht nur lehrreich sind, die Bedeutung der Zeichen erklärt, wie sie entstehen und was sie bewirken: Lector in fabula (1987), Die Grenzen der Interpretation (1992) und die Harvard-Vorlesungen Im Wald der Fiktionen (1994) sind die bekanntesten.

Er pflegte hintergründige Witze zu erzählen. Wie diesen: Der Tiber tritt über die Ufer, Romoletto kniet in seiner Hütte nieder und hört den Herren sagen, dass er ihn retten wolle. Ein Schlauchboot der Feuerwehr kommt vorbei, er winkt ab. Den Rettern vom Roten Kreuz ergeht es ähnlich. Auch das Schlauchboot der Carabinieri hat keine Chance. Romoletto ertrinkt. Im Himmel beschwert er sich bei Petrus. Der verspricht, bei seinem Chef nachzufragen – und kommt ergrimmt zurück: „Ich verstehe nicht, was Du willst. Wir haben Dir drei Schlauchboote geschickt.“

Der Witz scheint einen katholischen Kern zu haben: Die Vorsehung nimmt oft Nebenwege. Doch für Eco kommt es auf die Geschichte an, deren Zeichen man lesen muss. Denn eigentlich, so Eco in einem seiner „Streichholzbriefe“, handelt es sich bei diesem Witz um eine Lehrfabel über den richtigen Augenblick, den Kairos.

Von dieser Einsicht aus kommt Eco auf die Kunst des Erzählens: „So hat mich die Geschichte von Romoletto dazu gebracht, über das Wesen der Erzählkunst nachzudenken, und damit über die neuerdings vieldiskutierte Frage, ob es noch eine Erzählkunst gebe und ob sie mit der Sprache oder mit der Erfahrung zu tun habe.“ - Den „Streichholzbrief” mit Ecos ganzem Gedankengang finden Sie auf zeit.de.

Die Erfindung der Postmoderne

Der Professor an der Universität Bologna (1975-2007) liebte es aber besonders, sein enzyklopädisches Wissen in Romanform zu erzählen. Damit wurde er bekannt und berühmt. Mit dem Roman Der Name der Rose, 1980 auf italienisch, 1982 auf deutsch (vorzüglich übersetzt wie viele Eco-Bücher von Burkhard Kroebner) erschienen, landete Umberto Eco einen Mega-Bestseller. Die Popularität des Buches ist das Geheimnis seines Erfolgs. Eco erzählt Zeichentheorie Das Labyrinth aus Der Name der Rose. Von Umberto Eco - Editore Bompiani - Il nome della rosa (romanzo), CC-BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=39601201 als Mittelalter-Roman, Kriminalgeschichte, Thriller, Philosophielektion – alles auf einmal und mit so vielen Spuren, dass die Kollegen mit der Entschlüsselung viel zu tun bekamen. Es geht bekanntlich um Morde in einem norditalienischen Kloster und einen Mönch als Detektiv, aber auch um den verschollenen Teil der Poetik des Aristoteles, mit den Ausführungen über die Komödie. Was in der Real-Geschichte fehlt, hat Eco in der fiktionalen Geschichte nacherfunden, und das so spannend und hintergründig, dass der Roman bis heute vergnügliche Rätsel aufgibt. Ob Gott lachen kann, ist ja auch eine theologische Frage.

Jedenfalls hat Ecos Roman, den er in einer kleinen Nachschrift kundig kommentierte, die Postmoderne in Deutschland eingeführt. Anspruch und Unterhaltung, Mischung von E- und U-Literatur, „Ironie, aber ohne Unschuld“, Intertextualität, das waren die Stichworte, mit denen Umberto Eco die Kluft zwischen Wissenschaft und Literatur mühelos überbrückte. Den Begriff Intertextualität – die Verflechtung aller literarischen Texte untereinander durch Zitate, Motive, Anspielungen usw. – lässt er Adson in Der Name der Rose erklären (weitere Beispiele finden Sie auf dieser wikipedia-Seite:

„Bisher hatte ich immer gedacht, die Bücher sprächen nur von den menschlichen oder göttlichen Dingen, die sich außerhalb der Bücher befinden. Nun ging mir plötzlich auf, dass die Bücher nicht selten von anderen Büchern sprechen, ja, dass es mitunter so ist, als sprächen sie miteinander. Und im Licht dieser neuen Erkenntnis erschien mir die Bibliothek noch unheimlicher. War sie womöglich der Ort eines langen und säkularen Gewispers, eines unhörbaren Dialogs zwischen Pergament und Pergament? Also etwas Lebendiges, ein Raum voller Kräfte, die durch keinen menschlichen Geist gezähmt werden können, ein Schatzhaus voller Geheimnisse, die aus zahllosen Hirnen entsprungen sind und weiterleben nach dem Tod ihrer Erzeuger? Oder diese fortdauern lassen in sich?“

Wenn auch die folgenden Romane nicht immer die Strahlkraft von Der Name der Rose erreichten, so zeigten sie den Erzähler Umberto Eco doch immer von seiner besten, seiner fabulierfreudigen, zeichenverliebten und auf Mehrdeutigkeit setzenden Seite. Das  Foucaultsche Pendel (1987), Die Insel des vorigen Tages (1995) und Baudolino (2001) sind ernste Spiele mit den Zeichen von Geschichte, Geographie und Kultur.

  

Woran glaubt, wer nicht glaubt?

Über seinen subtilen Sinn für Ästhetik – er hat wunderbare Bücher über die Geschichte der Schönheit und der Hässlichkeit geschrieben – war Umberto Eco mit Religion und Theologie auch außerhalb des Romanschreibens verbunden. 1998 erschien in der italienischen Zeitschrift Liberal ein Briefwechsel, den er mit dem Mailänder Kardinal Carlo Maria Martini führte. Martini und Eco sprachen über Fragen der Apokalypse, den Beginn des Lebens, den Zölibat und die postmoderne Ethik. Eco bekannte sich als Agnostiker und ausdrücklich nicht als Atheist: „denn ich kann gut kantianisch nicht verstehen, wie man nicht an Gott glauben und der Meinung sein kann, dass seine Existenz nicht zu beweisen ist, um dann fest an die Inexistenz Gottes zu glauben in der Meinung, sie sei beweisbar.“

Der Briefwechsel erschien unter dem Titel Woran glaubt, wer nicht glaubt? und zeigte klare Kanten, aber auch großen Willen zum gegenseitigen Verstehen. Umberto Eco, der über Thomas von Aquin promoviert hatte, war mit dem Kommentar aus der katholischen Kirche ausgetreten, Thomas habe ihn „vom Glauben geheilt“. Scholastik mit Ironie – nicht das schlechteste Rezept für einen Disput von Theologie und Zeichenwissenschaft. Jürgen Habermas und Joseph Ratzinger, damals Kardinal, später Papst, haben diesen Dialog zwischen Glauben und Wissen 2004 fortgeführt.

Am 19. Februar 2016 ist der 1932 geborene Umberto Eco in Mailand gestorben. Er hat unsere Denk- und Lesehorizonte in Bewegung gesetzt: im Namen der Musen der Geschichte und der Erzählkunst.

Michael Braun

Rezensent im Fokus

Michael Braun

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