Willi Fährmann gestorben

Das Glück ist nicht an ihm vorbei gegangen

Der Schriftsteller Willi Fährmann ist tot. Er starb an Christi Himmelfahrt im Alter von 87 Jahren in Xanten. Über 80 Bücher – für Kinder, Jugendliche und Erwachsene – hat er geschrieben und dazu unzählige Geschichten. Zu seinen bekanntesten Titeln dürften „Der lange Weg des Lukas B.“ und „Der überaus starke Willibald“ zählen; seine Texte prägten Generationen von Leser/innen, schreibt der Arena Verlag im Nachruf. Die deutschsprachige Kinder- und Jugendbuchliteratur verliere „mit dem Tod von Willi Fährmann eine der bedeutendsten Stimmen für mehr Menschlichkeit und Zivilcourage”, schreibt der Verlag weiter.

Zu Fährmanns 80. Geburtstag 2009 würdigte ihn Bernhard Vogel, der Ehrenvorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung in einem Beitrag für unsere Interntseite. Diesen Text finden Sie weiter unten. Ein Nachruf folgt Anfang kommender Woche.


Bernhard Vogel, seit 2010 Ehrenvorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung, schrieb im Dezember 2009 für medienprofile.de:

„Bücher sind nur dicke Briefe an Freunde", sagt Jean Paul.

Willi Fährmann hat viele - darunter auch dicke - Bücher, geschrieben und mit ihnen viele, sehr viele Leser gefunden, die zu seinen Freunden wurden. Ich zähle mich dazu, einer von ihnen geworden zu sein.

Man kann seine Bücher nicht aus der Hand legen. Man leidet und freut sich, man hofft und man fürchtet sich mit den handelnden Personen. Man erkennt sich selbst wieder. Ja, Willi Fährmann erzeugt Leselust. Man will wissen, wie es weiter geht, wie der Lebensweg seiner Romanfiguren weiter verläuft. Man muss nach seinem nächsten Buch greifen.

Da ist Christian, die Hauptfigur aus „Der Mann im Feuer", der aus dem Lippischen ins Ruhrgebiet zieht. Er kehrt in „Unter der Asche die Glut" wieder. Im Ruhrgebiet wächst er als Jugendlicher in der Schar, einer katholischen Schülergemeinschaft, in der Endzeit der Weimarer Republik auf. Er erlebt in Berlin, dass Adolf Hitler Reichskanzler wird. Er wehrt sich gegen den Ungeist der Hitler-Jugend, die lärmend durch die Straßen zieht, erlebt Bücherverbrennungen und Judenverfolgung, wird schikaniert und unterdrückt, will sich aber nicht einordnen und wandert schließlich mit seinem Freund nach Südamerika aus. Was wird dort aus ihm? In „Sie weckten das Morgenrot" erfährt man es. In Kolumbien kaufen sie eine kleine Finca und züchten Kakaobäume und Mais. In Europa zieht der Zweite Weltkrieg herauf. Christians Schwester, die in Kolumbien zu ihnen gestoßen war, kehrt nach Europa zurück. „Die Stunde der Lerche" schildert, wie es ihr im Nachkriegsdeutschland ergeht. Willi Fährmann weist den Weg, Geschichte zu verstehen. Die von ihm und uns Älteren erlebte Geschichte des 20. Jahrhunderts. Er erzählt erlebte Geschichte, so spannend, so lebensnah, so anschaulich, wie kein zweiter Autor. Nicht anhand von Zahlen, anhand von Schicksalen.

Willi Fährmann wurde vor 80 Jahren, 1929, in Duisburg geboren, als Sohn eines Schlossers und einer Schneiderin. Er absolviert eine Maurerlehre, holt die Hochschulreife nach und wird Lehrer, Volksschullehrer, wie es damals hieß. Er wurde Schulleiter und Schulrat. Heute lebt er in Xanten am Niederrhein. 1956 beginnt er seine Manuskripte zu veröffentlichen. Seine Bücher haben weit mehr als eine Million Leser gefunden, auch in zahlreichen fremden Sprachen.

Zu Recht gilt er - wie die FAZ schreibt - als einer der profiliertesten Autoren der deutschen Jugendliteratur, als einer der renommiertesten, vielfach ausgezeichneten deutschen Schriftsteller der Zeitgeschichte des 20. und des beginnenden 21. Jahrhunderts. Weil er ein authentischer Interpret ist. Er selbst warnt allerdings zu Recht davor, „Jugendliteratur" in einen Alterskäfig einzusperren. „Sofern sie Literatur und Poesie ist, gibt es keine Altersgrenze", sagt er. Und in der Tat, Preise für Jugendliteratur, wie sie Fährmann mehrfach empfangen hat - den Deutschen Jugendliteraturpreis 1981 zum Beispiel (für „Der lange Weg des Lukas B.") - sollten die Geehrten nicht auf ein Lebensalter „einzementieren". Sie sollten aufschließen, öffnen, Anstoß geben für die Vergabe literarischer Preise.

Wenn wir zu Recht beklagen, dass die heutige Generation, die die nationalsozialistische Diktatur und bald auch den DDR-Unrechtsstaat nicht mehr aus eigenem Erleben erfahren hat, zu wenig Kenntnis der jüngsten deutschen Geschichte besitzt, dann sollten wir sie nicht schelten, sondern nach Wegen suchen, sie besser zu vermitteln. Auch indem wir erzählen, was gewesen ist. Und wir sollten auf die hinweisen, die das besonders gut können.

Eines seiner letzten Bücher, in dem er Geschichten aus seinem eigenen Leben erzählt, trägt den Titel „Das Glück ist nicht vorbei gegangen". Wenn man dem Achtzigjährigen heute begegnet, sieht man ihm an, dass das Glück an ihm nicht vorbei gegangen ist. Ein reiches und erfülltes Leben liegt hinter ihm. Weil wir ihm und seinen Büchern begegnet sind, dürfen wir hinzufügen: Auch an uns, an seinen Lesern, ist das Glück nicht vorbei gegangen.

Bernhard Vogel

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