Vater, Mutter, Kind? - Familie in der aktuellen Kinderliteratur
Wie eigentlich aus einem Paar eine Familie wird, das hat Bette Westera in „Schokostreuselgroß - Ein Baby in Mamas Bauch“ festgehalten. Obwohl, eine Tochter haben sie ja schon. Und nun ist noch ein Kind unterwegs! Ein erzählendes Aufklärungsbuch, das beim Vorlesen jede Menge guten Gesprächsstoff liefert. Maxi hat etliche Fragen, die ihre Eltern offen, geduldig und humorvoll beantworten. Sie ist hautnah dabei und deutlich schlauer in Sachen Nachwuchs, als ihr kleiner Bruder dann endlich auf die Welt kommt. Julia Dürr dazu: „Viel Freude machte mir der warme Ton in der Familie. Zum einen gibt es die Geschichte der Familie, zum anderen die Sachinformationen. Das sollte auch illustrativ sichtbar werden.“ Jan Jutte hat das niederländische Original, Julia Dürr die von Rolf Erdorf ins Deutsche übersetzte Ausgabe illustriert. Mit ihrem freundlich-pfiffigen Strich passt das perfekt.
Wie viele Möglichkeiten des Zusammenlebens es gibt, das zeigt Sandro Natalini schon für ganz kleine Kinder in seinem Bilderbuch „Familie“. Bereits auf dem Titelbild sieht man verschiedene Tierfamilien und mit seinem Vorwort stimmt er erwachsene VorleserInnen auf das Thema ein. Die stolzen Flamingos haben nur ein Kind, die kleinen Seepferdchen zwei Papas. Beim Betrachten der oft lustig und groß dargestellten Tiere kann man deren Art zu leben gut begreifen. „Dieses Bilderbuch macht deutlich, dass es eine Vielzahl unterschiedlicher Formen des Zusammenlebens gibt. Oft wird suggeriert, dass ausschließlich das traditionelle Familienbild richtig sei. Dieses Buch macht durch den Einsatz von Tieren deutlich, dass es die unterschiedlichsten Familienformen auch in der Natur gibt,“ so Joshua Schulz, der die wenigen Worte gekonnt und präzise aus dem Italienischen übersetzt hat.
In „Lulu in der Mitte“ geht es um den Platz, den ein Kind in der Familie hat. Dabei ist die Geschwisterfolge oftmals sehr entscheidend für die persönliche Entwicklung. Das Bilderbuch von Micha Friemel und Jacky Gleich ist ein sehr liebevoller und lockerer Beitrag zu diesem Thema. Die drei Geschwister Leonor, Lulu und Kaspar leben zusammen unter einem Dach. Und Lulu ist die Mittlere. Zusätzlich mit von der Partie: eine begeisterte Oma, ein Hund sowie ein Goldfisch. „Ich bin selber auch in einer Dreikindfamilie groß geworden und fand meine Sandwich-schwester immer etwas speziell kompliziert - eben so, als ob sie ihren Platz nicht finden könne“, so Jacky Gleich. Mit ihren auf festem Transparentpapier gezeichneten, sehr dynamischen Strichfiguren gelingt es ihr ganz großartig, das lebendige Familienleben in zahlreichen Szenen festzuhalten.
Anke Kuhl wählt einen biografischen Zugang für ihr neuestes Werk „Manno! Alles genau so in echt passiert“. Und lebendig ging es auch in ihrer Kindheit in den achtziger Jahren zu. „Als ich vor ein paar Jahren begonnen habe, meine Kindheitserinnerungen zu sammeln und aufzuschreiben, war noch völlig offen, was das werden soll. Erst nach und nach wurde klar, dass es ein Comic werden muss, weil alles so bildhaft in meinem Kopf abgespeichert war“, so die Frankfurter Illustratorin. Ihr Familienleben war vor allem durch den engen Kontakt zu ihrer Schwester Eva geprägt. Auch die Beziehung zu den Großeltern spielte eine große Rolle. So erfährt man viel Lustiges, aber auch schmerzhafte Ereignisse, wie zum Beispiel eine einschneidende Krise ihrer Eltern. „Es ist nicht ohne, so viel Privates preiszugeben. Im Arbeitsprozess habe ich immer wieder überlegen müssen, wo da meine Grenzen liegen.“ Das ist ihr aber gerade gut gelungen.
Auch BARROUX begeistert immer wieder mit seinen Werken und hat bereits mehrfach Familien dargestellt. Nun rückt er einen Vater ins Zentrum seines neuesten Bilderbuches mit dem Titel „Mein Papa - der Alleskönner“. Mit der Bohrmaschine in der Hand und dem Werkzeug in der Hosentasche begegnen wir ihm und seiner Tochter auf dem Titelbild. Auffällig ist direkt der stilsichere und unverkennbare Strich, den der französische Illustrator über Jahre hinweg entwickelt hat. „Die Linien zeichne ich mit Feder und Tinte, die Farbflächen sind mit Pinsel aufgetragene Acrylfarbe“, so BARROUX. Zusätzlich arbeitet er in Collagetechnik. Dieser Papa hat eine geheime Werkstatt und ist dort unentwegt beschäftigt. Womit nur? Die Überraschung am Ende ist jedenfalls perfekt gelungen.
Das es auch Familien mit zwei Mamas gibt ist für den ein oder anderen überraschend. Susanne Scheerer und Annabelle von Sperber leisten auf jeden Fall eine Art Pionierarbeit, wenn sie mit „Zwei Mamas für Oskar - Wie aus einem Wunsch ein Wunder wird“ eine Geschichte erzählen, in der es darum geht, wie solch eine Familie funktioniert. Eine Samenspende von einem befreundeten Mann macht es den beiden Frauen möglich, ihren Traum von der eigenen Familie zu verwirklichen. Und als Tilly von Oskar wissen will, woher dieser Wunsch kommt, antwortet er: „Na, weil sie sich so sehr lieben“. Die Berliner Illustratorin war gleich begeistert von der Geschichte und erinnert sich gerne: „Die Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten war eng, ohne Eitelkeit und immer im Sinne der Lesbarkeit und dem Überbringen der Botschaft,“ so Annabelle von Sperber.
Ein Familienmodell, das im Laufe der letzten Jahre schon mehr gesellschaftliche Akzeptanz erfahren hat, ist die Patchworkfamilie - wörtlich übersetzt die Flickenteppichfamilie. So lautet auch der Titel des zweiten Bandes „Familie Flickenteppich - Wir haben was zu feiern.“ Stefanie Taschinski hat bereits einige hervorragende Erstlesebücher geschrieben und nun in Zusammenarbeit mit Anne Behl eine tolle neue Kinderbuchreihe gestartet. „Die Charaktere sind liebenswert, lustig und sehr nahbar. Ich mag, wie selbstverständlich die Autorin dieses bunte, vielfältige Familienleben aufzeigt,“ so Anne Behl zu ihrer Arbeit. Ihre pfiffigen, lebendigen Szenen bereichern diese Bücher enorm. Und zum Glück geht es weiter im Text. Band 3 erscheint im Frühjahr 2021 und zu hören gibt es die Geschichten beretis bei Oetinger audio.
Laut geht es auch öfter mal in Meg Rosoffs Kinderbuchfamilie zu, den Peacheys. Denn in dieser Familie ist immer einiges los. Das Besondere an ihnen: sie sind auf den Hund gekommen, bzw. Mc Tavish eher auf sie. Denn der liebenswerte Tierheimhund hat sich genau diese Familie ausgesucht - als neues Zuhause und um sie zu retten. „Glück für alle Felle“ und „Ferien für alle Felle“ sind zwei Bände, die bereits auf Deutsch erschienen und von Brigitte Jakobeit übersetzt wurden. „Ich habe selbst seit 14 Jahren zwei Hunde. Die Zeit, die ich mit ihnen in der Natur verbracht habe, war immer die beste Zeit. Also war die Idee zu einer Geschichte, in der ein Hund eine Familie rettet, nur naheliegend. Denn Hunde geben Liebe, Struktur und Freundschaft,“ so die preisgekrönte Autorin. Im Original gibt es vier Bände. Bleibt zu hoffen, dass diese auch noch in deutscher Übersetzung erscheinen.