Wenn es dunkel wird

Chamissos Schlehmil-Figur verkauft seinen Schatten an den Teufel. Peter Stamm lässt seine Figuren im Schatten stehen. Es ist ihr eigener Schatten: ein kleiner Schritt vom Wege, eine grundlose Zuversicht, ein absurdes Abenteuer. "Wenn es dunkel wird", kann man diesen Schatten sehen. Und so werfen die elf Erzählungen, die Stamms neuer Band um diesen Titel versammelt, ein Zwielicht auf Menschen, die plötzlich in Alltagssituationen kommen, in denen sie ganz anders reagieren, als man erwarten würde. Der achtzehnjährige Lehrling will mit einer lächerlichen Eichhörnchenmaske eine Bank überfallen, der Familienvater wird von den Seinen an einer winterlichen Autobahnraststätte zurückgelassen, der bankrotte Börsenspekulant träumt sich in die Rolle von Robinson Crusoe, die Grafikerin geht nackt auf die Party eines Archäologen, "Sabrina, 2019" verschmilzt mit einer ihr exakt nachgebildeten Aluminiumskulptur, ein arbeitsloser Werbetexter schickt seiner Freundin im Namen eines anderen werbende Emails. Peter Stamms Erzählungen sind spannend und schwungvoll auf einen Zielpunkt hin geschrieben, sie werfen aber mehr Fragen auf, als sie Antwort geben. Der Erzähler stellt, wie die Wahrsagerfigur in der Erzählung "Cold Reading", Dinge fest und Zusammenhänge her, aber was die Figuren und was wir damit anfangen können, das sagen sie nicht. Faszinierende Erzählungen über den Einbruch der Fakten in die Fantasie, über Liebesschwindel und fahrlässige Hoffnungen. Sehr empfehlenswert.