Der leidenschaftliche Zeitgenosse
Ein Tausendsassa ist dieser Roger Willemsen, den die meisten ungerechterweise nur aus dem Fernsehen kennen. Deshalb ist dieses Werkstattbuch eine Bereicherung. Es enthüllt die vielen Seiten dieses promovierten Germanisten und multimedialen Zeitkritikers, der Erzählungen schrieb, bevor er im Fernsehen "Willemsens Woche" moderierte, der Musikprogramme und Regiearbeiten für den Film machte, während er politische Bestseller schrieb, und der nicht aufhörte, sich für den Afghanischen Frauenverein und für Amnesty International zu engagieren, derweil er schon eine Ehrenprofessur in Berlin innehatte. Die Journalistin Insa Wilke hat das Buch geschickt komponiert, indem sie die einzelnen Beiträge aus fremden Federn (darunter ein ergreifender Brief von Elias Canetti von 1981) und Willemsens Selbstzeugnisse einflicht in ein langes Interview, das sie mit ihm über sein Leben und sein Wirken geführt hat. So entsteht das faszinierende Bild eines fernreisenden Blitz-Denkers, der sich seine Begeisterungsfähigkeit und sein Staunenkönnen bewahrt hat und mit seinem Buch "Das Hohe Haus. Ein Jahr im Parlament" (BP/mp 14/592) Politikern manche nachdenkliche Antworten abverlangt hat. Und dass er Schokolade und frisches Obst ebenso liebt wie Fragmente und guten Stil, macht ihn vielleicht noch mehr sympathisch. Eine Einladung zum Willemsen-Lesen! Allen Beständen empfohlen.
Michael Braun
rezensiert für den Borromäusverein.
Der leidenschaftliche Zeitgenosse
hrsg. von Insa Wilke
S. Fischer (2015)
519 S. : Ill.
fest geb.