Der Engelherd

Laura schreibt ihre Doktorarbeit über das Werk des Schriftstellers Caspar Waidegger. Dadurch wird sie zu dem exklusiven Kreis in dessen Haus eingeladen. Laura ist fasziniert und steigert sich in Verliebtheit hinein. In der Gesprächsrunde wird scherzhaft Der Engelherd eine Geschichte kreiert, die sich bei Waidegger festsetzt. Er entwickelt daraus eine Erzählung, die Martynova zu einem zweiten Handlungsstrang ausbaut, der zur NS-Zeit spielt und in dem eine Schauspielerin ihr behindertes Kind an die Experimente eines mörderischen Arztes verliert. Gegen Ende des Buches wagt Waidegger endlich, eine Schatulle mit ihm hinterlassenen Dokumenten zu öffnen, welche in etwa die fiktionale Geschichte belegen. Seine behinderte Tochter Maria lebt in einem Heim und widmet sich winzigen Zeichnungen am Rande eines Engelsbuches, ihre wichtigste Kontaktperson ist ihre Halbschwester Martha. Ihre Vorliebe für Engel mag der "Anlass" sein, weshalb das Buch mit einem Prolog über die Technik, Engel wie Vögel zu fangen, beginnt und dieses "Journal eines Engelsüchtigen" immer wieder die beiden anderen Handlungsstränge durchbrechen lässt. - Dieses erste Kapitel erweckt den Eindruck, es gehe um einen Esoteriker mit eigenartigen Praktiken, was vom Weiterlesen abhalten könnte. Auch die Struktur mit den mehrfachen Durchbrechungen und Verschlingungen der Handlungsstränge macht den Zugang nicht gerade einfach, hat doch auch die Autorin eine Vielzahl großer Motive in das Werk hineingepackt, wie Entscheidungsfreiheit, Abhängigkeit in einer Beziehung, Verantwortung gegenüber behinderten Kindern ... Erst im Laufe der Lektüre erfasst man, dass die eigenwillig geschilderten Engel eine Art moralischer Instanz sind, die zeitliche Gleichläufe wahrnehmen, aber nicht ändern können. Das Buch leidet etwas an einem Zuviel an Anspielungen, immerhin ist es ein eindrucksvolles Stück Gegenwartsliteratur.

Pauline Lindner

Pauline Lindner

rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

Der Engelherd

Der Engelherd

Olga Martynova
Fischer (2016)

361 S.
fest geb.

MedienNr.: 586245
ISBN 978-3-10-002432-9
9783100024329
ca. 23,00 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
Diesen Titel bei der ekz kaufen.