Miami Punk
Der Atlantik hat sich über Nacht von der Küste Floridas zurückgezogen und vor Miami liegt jetzt eine Wüsten- und Gebirgslandschaft, die bis an die Bahamas reicht. Mit dem Rückzug des Ozeans bricht fast die gesamte Lebensgrundlage der Region weg. Größte Arbeitgeber sind der unüberschaubare Life-Science-Konzern namens "Nowak" und der gigantische Pizzalieferdienst von José Pepperoni, der Einwohner der Stadt, die keinen Job haben, als scheinselbständige Lieferanten beschäftigt. Pepperoni übernimmt mit seinen Fahrzeugen zugleich die Überwachung der Bevölkerung. Die Bemühungen der Menschen in Miami, einen Sinn in ihrem Leben zu finden, sind vielfältig. Da ist Robin, eine Indie-Game-Programmiererin, die ihr Geld in der IT-Abteilung von "Nowak" verdient und in ihrer Freizeit Avantgarde-Spiele programmiert, in denen Spiel und Realität verschmolzen werden. Da ist der Hafenarbeiter, der nach Schließung der Docks arbeitslos ist, dies aber seiner Familie verschweigt und nach wie vor jeden Tag zur Arbeit geht. Da gibt es eine von der Regierung als wichtiger Beitrag zur Reparatur der Stadt eingesetzte Behörde "55", deren ominöse Aktivitäten aber keinerlei praktischen Nutzen haben. Und da sind die Hoffnungslosen, die ihr Leben riskieren, um in dem unbesiedelten Gebirge hinter der Wüste ein neues Leben zu beginnen. - In virtuos verschachtelten Erzählsträngen, meist durch die Gamer-Brille gesehen und alle paar Seiten die Textform und den Erzähler wechselnd, beschreibt der Autor mit überbordender Erzählphantasie seine Figuren, den Zustand unserer Lebens- und Arbeitswelt mit seinen absurden Auswüchsen und wie sich dabei Computerspiele in die Realität einschleichen. Genial und mit viel Ironie hält der Zivilisationspessimist Guse seiner Generation den Spiegel vor, strapaziert den Leser aber auch mit seiner Detailgenauigkeit. Ein brillantes Mammutwerk - ungewöhnlich, kompliziert, aber Lesern gesellschaftskritischer Themen mit langem Atem sehr zu empfehlen.
Günther Freund
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Miami Punk
Juan S. Guse
Fischer (2019)
635 S.
fest geb.