Ambivalenz

Der neue Roman von Amélie Nothomb, die regelmäßig jedes Jahr einen erfolgreichen kleinen Roman veröffentlicht, erschien in der Originalausgabe unter dem Titel "Les prénoms épicènes" - gemeint sind Vornamen ohne Geschlechtsgebundenheit. Ein Tropfen Ambivalenz Chanel No.5 auf das Dekolleté, und Dominique, Sekretärin, Tochter einer Kassiererin und eines Fischers, entdeckt eine neue Welt: Mit diesem Geschenk eröffnet Claude seiner Freundin ein Leben in bürgerlichem Wohlstand in Paris, als Ehefrau im goldenen Käfig. Das alles spielt Anfang der 1970er-Jahre. Claude ist ein Aufsteiger, bald Topverdiener und Firmenchef, und man spürt mit wachsender Antipathie, dass dieser gutaussehende Charmeur ein von Ehrgeiz zerfressener Emporkömmling ist. Er behandelt seine Ehefrau wie sein Eigentum, und als endlich das von beiden heiß ersehnte Kind auf die Welt kommt, lässt es ihn gleichgültig. Er hat „aus Rache“ geheiratet, weil die Frau, die er eigentlich liebt, ihn nicht wollte. Die gemeinsame Tochter heißt Épicène - ein ambivalenter Name wie der der Eltern. Die heranwachsende Épicène bleibt wie ihr Name geschlechtlich indifferent. Sie ist eine exzellente Schülerin, begeistert von Richard III., einer Tragödie, deren Protagonist als Inkarnation der Intrige gilt. Nach außen wirkt Épicène sehr rational, unnahbar. Doch - mit Vaters Hass aufgewachsen - plant sie einen perfekten Rachefeldzug. Wie immer sind Nothombs Texte voller Hintersinn. Klischees wie Chanel N°5, und Champagner werden ebenso eingebaut wie zahllose literarische Andeutungen. Raffiniert und böse beschreibt sie ihre Protagonisten, die alle ambivalent sind. Nothomb analysiert erbarmungslos menschliche Schwächen - großartig!

Ileana Beckmann

Ileana Beckmann

rezensiert für den Borromäusverein.

Ambivalenz

Ambivalenz

Amélie Nothomb ; aus dem Französischen von Brigitte Große
Diogenes (2022)

128 Seiten
fest geb.

MedienNr.: 608311
ISBN 978-3-257-07194-8
9783257071948
ca. 20,00 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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