Rote Kreuze

Alexander, ein moderner junger Mann aus Weißrussland, mietet in der Hauptstadt Minsk, die bis heute durch Monumentalbauten aus der Stalinzeit geprägt ist, eine Wohnung an. Er lernt seine Nachbarin Tatjana kennen, über 90 Jahre alt und an Alzheimer Rote Kreuze erkrankt. Sie beginnt, Alexander ihre Lebensgeschichte zu erzählen. Da "Rote Kreuze" am Ende des Millennium-Jahres 2000 spielt, handelt es sich bei Tatjanas Erzählung um einen Zeitzeugen-Bericht des gesamten russischen 20. Jh. einschließlich der Schreckenszeit des Stalinismus. Auch der so viel jüngere Alexander hat schon einige Schicksalsschläge einstecken müssen. Die alte Dame und der junge Mann freunden sich an und schließen einen gemeinsamen Pakt gegen das Vergessen. Dabei geht es den beiden sowohl darum, das kollektive Vergessen aufzuhalten als auch darum, Tatjanas krankheitsbedingtes Vergessen zu verlangsamen. Die historisch bedeutsame Geschichte des wie seine Hauptfigur aus Weißrussland stammenden Autors Sasha Filipenko ist bewegend erzählt und eng mit der Figur der lebensklugen Tatjana verbunden. Dem Autor gelingt es, über den jungen Alexander einen Antitypus zu entwickeln, über den sein Roman einem Zuviel an historischem Pathos entgeht. Das Hörbuch wird von dem Schauspieler Robert Stadlober gleichermaßen eindringlich wie zurückhaltend gelesen. Sein Vorlese-Ton korrespondiert insofern hervorragend mit den von Filipenko entwickelten, eher gegensätzlichen Roman-Figuren. Die Gräuel der sozialistischen Sowjetrepubliken des 20. Jh. dürfen genauso wenig in Vergessenheit geraten wie die des NS-Regimes. Empfehlenswert für alle Büchereien.

Michaela Groß

Michaela Groß

rezensiert für den Borromäusverein.

Rote Kreuze

Rote Kreuze

Sasha Filipenko ; gelesen von Robert Stadlober ; aus dem Russischen von Ruth Altenhofer
Diogenes Hörbuch (2020)

4 CDs (circa 300 min)
CD

MedienNr.: 600494
ISBN 978-3-257-80416-4
9783257804164
ca. 20,00 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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