Nachttiger
Die Handlung dieses äußerst spannenden Romans spielt in Britsch-Malaya (Malaysia) in den 30er Jahren des 20. Jh. Sie setzt sich aus verschiedenen Lebenswegen zusammen, die jedoch miteinander verbunden sind. Ji Lin, ein junges chinesisches Mädchen träumt von einer Zukunft als Lehrerin oder Krankenschwester. Ihr autoritärer Stiefvater verbietet ihr aber die dafür erforderliche Ausbildung, so muss Ji Lin eine Schneiderlehre beginnen. Frustriert flüchtet sie mehrmals in der Woche in eine Tanzhalle, dort fällt ihr eines Tages ein Fläschchen mit einem abgetrennten Finger in die Hände. Der zweite Protagonist ist der elfjährige chinesische Waisenjunge Ren, der als Houseboy bei einem Arzt angestellt ist. Als dieser im Sterben liegt, beauftragt er Ren, innerhalb von 49 Tagen nach seinem Ableben seinen abgetrennten Finger zu finden und in sein Grab zu legen. - Der Autorin gelingt es exzellent, den Leser in die chinesische Mythologie eintauchen zu lassen und gleichzeitig ein beeindruckendes Bild der Kolonialherren in dem Land aufzuzeigen. Eindrucksvoll beschreibt sie auch den Kontrast zwischen der älteren Generation, die weiterhin in den herkömmlichen Traditionen verharrt, und den modernen Jungen, die eigene Wege einschlagen wollen und gegen die Unterdrückung des weiblichen Geschlechts vorgehen. Der Roman besticht ferner durch eine berührende Liebesgeschichte. Doch handelt es sich auch um einen Krimi. Die Spannung wird bis zum Ende aufrechterhalten, an dem es zu einer sehr überraschenden Aufklärung der rätselhaften Todesfälle kommt. Das sehr unterhaltsame, aber auch äußerst informative Werk ist für eine große Leserschaft zu empfehlen.
Edith Schipper
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Nachttiger
Yangsze Choo ; aus dem Englischen übersetzt von Heike Reissig und [einer weiteren]
Wunderraum (2019)
572 Seiten
fest geb.