Was nie geschehen ist
Ein sehr interessantes Buch, sowohl inhaltlich als auch stilistisch. Nadja Spiegelman fühlte sich als fast Dreißigjährige dazu gedrängt, die Lebensgeschichten ihrer erfolgreichen und exzentrischen Großmutter und Mutter in persönlichen und sehr offenen Gesprächen in Erfahrung zu bringen und in subjektiv berichtender Erzählform niederzuschreiben. Dabei geht sie unglaublich ehrlich vor, auch was die eigene Biographie und Beziehung zu den männlichen Familienmitgliedern und Schwestern angeht. Die drei Frauen haben eine komplizierte Mutter-Tochter-Beziehung. Der Roman geht oft unter die Haut, denn die subjektive Darstellung ihrer Kindheit und Jugend und die subjektiven Erinnerungen von Mutter und Großmutter fördern wenig Empathie und Harmonie in der Familie, dafür umso mehr Konfliktstoff zutage. Die Protagonistinnen sind einerseits starke Frauen, die für ihre Kinder kämpfen, aber andererseits egozentrisch und rigoros ehrlich in ihren Urteilen über andere Familienmitglieder. Eigene Kinder werden schonungslos kritisiert, so dass in der Kumulation der negativen Bewertungen die Autorin Suizid begehen will. Sie erzählt intensiv, voller Emotionen und fesselnd. Abweichende Erinnerungen der verschiedenen Frauen bleiben erhalten, um die Subjektivität von Wahrnehmung und Gedächtnis zu unterstreichen. Ein mitreißendes Buch über mehrere Generationen hinweg. (Übers.: Sabine Kray)
Gudrun Schüler
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Was nie geschehen ist
Nadja Spiegelman
Aufbau-Verl. (2018)
394 S.
fest geb.