Franz Kafka

Der in Prag geborene Historiker Saul Friedländer hat sich zeit seines Lebens mit Kafka beschäftigt. Er beschreibt ihn als Dichter der Scham und der Schuld; denn er lenkt die Augen des Lesers auf Kafkas Angst vor dem Sexuellen und zugleich auf eine Franz Kafka unterdrückte homosexuelle Neigung. Damit kann er z.B. die Erzählung "Ein Landarzt" schlüssig verständlich machen, indem er das Zusammenspiel von surrealen Kräften und irdischen Trieben aufzeigt. Vor diesem Hintergrund sind wohl auch Kafkas Sadomasochismus und seine Folterfantasien (z.B. in der Erzählung "In der Strafkolonie") zu sehen. Friedländers Belege für Kafkas Homosexualität wirken allerdings nicht sonderlich überzeugend. Hinter Kafkas Napoleonverehrung stecke Sehnsucht nach Führung. In seiner fundamentalen Furcht und seinen einsamen Entscheidungen sei Kafka durch sein Studium Kierkegaards bestärkt worden. Wenig Verbindung zeige Kafka zu modernistischen Schriftstellern seiner Zeit, dafür aber zum Film. Der Hypochonder Franz Kafka habe die negativen Elemente der Welt in sich aufgenommen und fühle sich zu deren Repräsentation berechtigt. Friedländer zeigt die trostlose Welt Kafkas mit ihren gleichbleibenden Szenarien und die zentrale Vorstellung einer nicht identifizierbaren Bedrohung und bösen Vorbedeutung, ohne sie ganz erklären zu können. Mit seinem exponiert psychologischen Ansatz kann er Lesern aber, die sich vielleicht noch mit Max Brods theologischer Deutung abquälen, einen Zugang zu Kafka erschließen. Die mit einem Register versehene Darstellung ist übersichtlich gegliedert und liest sich gut. - Ab mittleren Beständen in jedem Fall interessant.

Bernhard Grabmeyer

Bernhard Grabmeyer

rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

Franz Kafka

Franz Kafka

Saul Friedländer
Beck (2012)

251 S. : Ill.
fest geb.

MedienNr.: 572972
ISBN 978-3-406-63740-7
9783406637407
ca. 9,95 € Preis ohne Gewähr
Systematik: Li
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