Schuberts Winterreise

Franz Schuberts "Winterreise" wird jedes Jahr zigmal in den Konzertsälen aller Welt aufgeführt - wie ist die ungebrochene und kulturübergreifende Faszination dieser 24 Lieder für eine Singstimme und Klavier zu erklären? Der englische Ausnahme-Tenor Schuberts Winterreise Ian Bostridge sieht die ungeheure Anziehungskraft dieses Liederzyklus gerade im unerklärlich Geheimnisvollen begründet, den sowohl Text wie musikalische Gestaltung jener 24 Lieder ausstrahlen - und versucht deshalb erst gar nicht, den Schleier dieses Geheimnisses irgendwie zu lüften. Stattdessen fragt er danach, was dieses so komplexe Kunstwerk "uns heute sagen könnte, wie eine Flaschenpost, die 1828 in die Fluten des kulturellen Ozeans geworfen wurde". Und der studierte Historiker Bostridge weiß wirklich ein kultur- (aber auch natur-) geschichtliches Füllhorn auszugießen beim Mitvollzug dieser Winterreise. Lied für Lied geht er die Bilder, Metaphern und Symbole durch, die auf der Wanderung (zum Teil immer wieder) auftauchen, schildert mögliche Bezüge des Dichters und Komponisten und entfaltet vor uns einen großartigen Gang durch das frühe 19. Jahrhundert. Dabei erweisen sich der düstere Weg des einsamen Wanderers durch Eis und Schnee und die Tiefen der eigenen Seele immer mehr als Bild für den Lebensweg des Menschen überhaupt. Musikwissenschaftliche Analysen werden bewusst ausgespart - was den Leserkreis erheblich vergrößert -, dafür aber interessante Einblicke in die Arbeitsweise eines Spitzensängers gewährt. "Besser kann ein Sachbuch gar nicht sein", schrieb Elmar Krekeler in der 'Welt' - nach der Lektüre kann man schon verstehen, warum.

Thomas Steinherr

Thomas Steinherr

rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

Schuberts Winterreise

Schuberts Winterreise

Ian Bostridge
Beck (2015)

405 S. : Ill. (z. T. farb.), Notenbeisp.
fest geb.

MedienNr.: 582413
ISBN 978-3-406-68248-3
9783406682483
ca. 29,95 € Preis ohne Gewähr
Systematik: Mu
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