Dresden. Die zweite Zeit
Stadtschreiber von Dresden, 2018. Eigentlich eher unwillig wegen der damit verbundenen Verpflichtungen und öffentlichen Auftritte nimmt der mit zahlreichen Preisen geehrte Autor dennoch an, seine alte Mutter lebt noch dort am Ort seiner Kindheit. Drawert stellt sich damit gleichermaßen seiner eigenen Vergangenheit als Heranwachsender im Dresden der Vorwendezeit als auch dem aktuellen Geschehen, dessen Auswüchse in den Aufmärschen von Pegida und Konsorten ganz besonders in Dresden kulminier(t)en. In einzelnen Episoden gibt Drawert Einzelheiten seiner problematischen Familiengeschichte preis. Er thematisiert insbesondere das belastete Verhältnis zum autoritären, gewalttätigen Vater, auch das triste Leben der Mutter zwischen Spitzendeckchen und Bohnerwachs sowie das traurige, im Alkohol ertränkte Leben eines jüngeren Bruders bleiben mit eigenen Schuld- und Versagensgefühlen präsent. Bezüge zum 1991 erschienenen Debüt "Spiegelland" und seine erneute Draufsicht nach fast 30 Jahren wechseln ab mit Reflexionen über die (gesellschafts-) politischen Zustände einst und jetzt, den so völlig gegensätzlichen Inhalten und Intentionen der Montagsdemonstrationen; autobiografische Einsprengsel von damals und heute wechseln mit sehr detaillierten Beschreibungen eigener seelischer und körperlicher Befindlichkeiten, Ängste und Zweifel; ein tröstliches Ende findet das Buch in der letzten Erinnerung an den Vater als schwindenden Greis und einen letzten, erkennenden Blick zwischen Vater und Sohn. Sprachlich und gedanklich durchaus anspruchsvoll, verlangt konzentriertes Lesen und einiges Hintergrundwissen, für einen entsprechend interessierten Leserkreis.
Elisabeth Bachthaler
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Dresden. Die zweite Zeit
Kurt Drawert
C.H.Beck (2020)
288 Seiten : Illustrationen
fest geb.