Die Zeit der schlafenden Hunde
Für die achtzehnjährige Johanna ist es ein Schock zu erfahren, dass das Modehaus, von ihrem Großvater "gegründet" und von ihren Eltern geführt, bis in die Nazizeit hinein jüdische Besitzer hatte. Auf einer Israelfahrt
der Geschichts-AG hat sie die Tochter der jüdischen Eigentümer kennen gelernt. Seitdem schwankt sie zwischen dem Verlangen nach Wahrheit und dem Wunsch, sich in der Überzeugung zu beruhigen, selbst keine Schuld zu haben. Aber ihr Wahrheitsverlangen siegt. Sie recherchiert, sie setzt sich mit ihrem Vater auseinander, der nicht will, dass "schlafende Hunde" geweckt werden. Erst spät erkennt Johanna, wie selbstgerecht und anmaßend sie in ihren Urteilen war, wie schwierig es ist, überhaupt noch herauszufinden, wie es wirklich war. Für sich selbst zieht sie Konsequenzen. Die Autorin lässt ihre Leser auf eindringliche Weise Johannas Erkenntnisprozess mitvollziehen. Pressler erzählt bei auktorialer Erzählhaltung völlig aus der Perspektive der jungen Frau - mit erlebter Rede und Introspektion - und zwar im Präsens und gerade darin psychologisch äußerst intensiv. Immer wieder ist die Nazizeit eines ihrer großen Themen. In diesem Roman wird die Aktualität weit zurückliegender Schuld für die heutigen Generationen geradezu greifbar. Nicht "Kollektivschuld", aber Auftrag, sich der Vergangenheit zu stellen. Dieses vielschichtige und wichtige Buch sollte in allen Büchereien breit empfohlen werden - auch Erwachsenen.

Monika Born
rezensiert für den Borromäusverein.

Die Zeit der schlafenden Hunde
Mirjam Pressler
Beltz & Gelberg (2005)
Beltz-&-Gelberg-Taschenbuch ; 689
269 S.
kt.