Die Kindheit ist unantastbar
In seiner temperamentvoll vorgetragenen, allgemein verständlichen Streitschrift prangert der Verfasser, Kinderarzt und Wissenschaftler, eine (Früh-)Pädagogik an, die nicht in erster Linie dem Kindeswohl dient, sondern sich weitgehend den Interessen einer globalisierten Ökonomie unterordnet. In seiner durch viele harte Fakten unterfütterten Polemik belegt der Verfasser sehr detailliert, dass sich Politik und Staat, Gesellschaft und Medien und nicht zuletzt die sog. Bildungsexperten in einem erstaunlichen Gleichklang dem Zeitgeist unterworfen hätten. Kinder werden dann vor allem als "Humankapital" und als Ressource für die globalisierte Wirtschaft gesehen. Die einhellige Überbetonung der sog. MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) sei z.B. ein Beleg für diese Tendenz. Er fordert Eltern und Erzieher(innen) auf, sich selbstbewusst gegen die Ökonomisierung der Bildung, die schon in den Kitas Einzug hält, und ihre Ausrichtung an z.B. durch PISA vermittelten Standards zu stemmen, ihren eigenen Gefühlen zu vertrauen und dem Kind eine unbeschwerte Kindheit zu erhalten. Ein Kind braucht "nicht Evaluation, sondern Beziehungen, es braucht nicht Konkurrenz, sondern Rückhalt, es braucht nicht Lob für das Ergebnis, sondern Lob für die Anstrengung, es braucht kein Benchmarking, sondern Begeisterung für das, was da zu lernen ist" (S. 89). Während derartige Kritik sehr breit vorgetragen wird, bleiben Hinweise zum Gegenentwurf sehr knapp und allgemein. Diesbezüglich könnte der Verfasser freilich auf seine früheren Veröffentlichungen verweisen ("Kinder verstehen"; "Wie Kinder heute wachsen"; "Menschenkinder").
Die Kindheit ist unantastbar
Herbert Renz-Polster
Beltz (2014)
271 S.
fest geb.