Neue unheimliche Geschichten

Der US-Schriftsteller Edgar Allan Poe ist ein Taufpate der literarischen Moderne, und sein französischer Kollege Charles Baudelaire hat diesen Gründungsakt sozusagen zelebriert. Im Jahr 1857 gab er einen Band mit "Neuen unheimlichen Geschichten" Neue unheimliche Geschichten heraus, einen von Fünfen, die er aus dem Englischen übersetzte und mit einer Reihe von Essays flankierte. Baudelaire war der erste, der Poes Modernität erkannte. Sie bestand darin, dass Poe Elemente aus der Tradition aufnahm - schwarze Romantik, Fortschrittsdenken, Religion -, aber in einen völlig neuen Zusammenhang stellte, der auf krasse Weise irritierte. Das Vertraute wurde in Poes Erzählungen unheimlich, das Wahre erschreckte, der Instinkt für das Schöne dient der Darstellung unschöner Welten, das schlechte Gewissen wird zum verlängerten Arm der Gerechtigkeit, wie in der Geschichte "Das verräterische Herz". Genau das hat Baudelaire erkannt und auf ebenbürtige Weise, ebenfalls im Jahr 1857, in seinem Band "Fleurs du Mal" für die europäische Moderne umgesetzt. Baudelaire würdigt Poes symbolistische Neugier, seinen Sinn für seelische Krankheiten, seine Hoffnungen und Berechnungen über ein Leben nach dem Tode, seine fast mathematische Planungskunst und seine Freude am Erzählen in Krisenzeiten.

Michael Braun

Michael Braun

rezensiert für den Borromäusverein.

Neue unheimliche Geschichten

Neue unheimliche Geschichten

Edgar Allan Poe ; herausgegeben von Charles Baudelaire ; aus dem amerikanischen Englisch von Andreas Nohl
dtv (2020)

391 Seiten
fest geb.

MedienNr.: 944122
ISBN 978-3-423-28215-4
9783423282154
ca. 30,00 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
Diesen Titel bei der ekz kaufen.