Raumfahrer

Jan wohnt mit seinem Vater in einer Einfamiliensiedlung in Kamenz, in der Lausitz. Der Vater ist in der Karpfenzucht tätig, Jan transportiert Patienten im Krankenhaus und teilt sich Nachtschichten mit einer Ärztin. Als seine Arbeitsstunden wegen Raumfahrer der bevorstehenden Schließung reduziert werden, kümmert er sich um den heimischen Garten. Und um die Familiengeschichte, die weit in die DDR zurückreicht und auf eigentümliche Weise mit der Biographie von Georg Kern zusammenzuhängen scheint, der im benachbarten Deutschbaselitz geboren wurde und sich als Künstler nach dem Ort benannt hat. Wie die Bilder von Georg Baselitz steht auch die Generationenkonstellation in Jans Familie auf dem Kopf. Der 1994 in Ostsachsen geborene Lukas Rietzschel hat eine Nachwendegeschichte im Krebsgang geschrieben, rück- und querläufig zur Geschichte des geteilten und wiedervereinigten Landes. Die Brüche werden gezeigt, aber nicht geheilt. Erzählt werden Weltbilder, die frei von Lügen, aber nicht von Widersprüchen sind. Stasi und ruinöse Arbeitspolitik kommen in den Blick, und Jans Eltern, der Vater wie die früh verstorbene Mutter, die offenbar ein Verhältnis mit Baselitz hatte, wirken auf ihn wie "Raumfahrer": verlorene Existenzen in einer Zwischenwelt, denen Sinn und Richtung fehlen. So fährt der Vater nicht Zug, aber stört sich an der Privatisierung der Bahn. Lukas Rietzschel hat mit seinem zweiten Roman abermals eine gelungene Talentprobe vorgelegt, einen erzählerischen Versuch zwischen Vergangenem und Neuem, Kunst und Politik, Leben und Erinnern.

Michael Braun

Michael Braun

rezensiert für den Borromäusverein.

Raumfahrer

Raumfahrer

Lukas Rietzschel
dtv (2021)

287 Seiten
fest geb.

MedienNr.: 605297
ISBN 978-3-423-28295-6
9783423282956
ca. 22,00 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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