Der gedehnte Blick
In der deutschen Gegenwartsliteratur ist Wilhelm Genazino, der Georg-Büchner-Preisträger 2004, eine singuläre Erscheinung. Mit großer Geduld und Aufmerksamkeit für das kleinste Detail schaut der überaus sensible und kluge "Wahrnehmungskünstler"
auch dort hin, wo andere überhaupt nichts der Wahrnehmung Würdige mehr entdecken können. "Wir alle sind trainiert im schnellen Anschauen von Bildern, weil wir anders mit der Bilderflut um uns herum nicht fertig werden können. Wenn wir dagegen ein Bild vor unseren Augen sozusagen anhalten und es über die vorab zugebilligte Zeit betrachten, kommt das zustande, was wir den gedehnten Blick nennen können." Und mit diesem "gedehnten Blick" schafft es Genazino, so verschiedene Themen wie die Zuschauer bei Schlagerfestivals, den Humor der Philosophen, die Plastikstühle in Straßenlokalen oder erfolglose Schriftsteller immer wieder ganz neu zu sehen. - Als unnachahmliche Schule der Wahrnehmung und der Aufmerksamkeit sehr zu empfehlen.

Carl Wilhelm Macke
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

Der gedehnte Blick
Wilhelm Genazino
Hanser (2004)
189 S.
fest geb.
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