Versuch über das Licht
Wer alttestamentarische Sprachgewalt liebt, wird auch schnell zu den Gedichten von John Burnside finden. "Der Hafen der Männer" zum Beispiel ist so ein bilderstarkes Langgedicht, das man sich am besten laut vorlesen muss, um es in seiner ganzen Farbigkeit in sich aufzunehmen. Von Männern ist da die Rede, die am Samstag an den Hafenkais ihre Angel auswerfen. "Die Männer nüchtern, nachdenklich, in die Ruhe einer Arbeit eingehüllt,/ die endlich nur ihnen gehört, Herr ihrer selbst/ und ich kann nicht umhin zu denken,/ daß es etwas gibt, das sie weitergeben wollen:/ ein Wissen, das sie nicht ganz zur Sprache bringen können, das aber/ mit jener Gunst zu tun hat, die Stärke/ von Macht unterscheidet." Burnside rückt mit diesem Gedicht Männer in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, die ohne ihn niemand jemals beachtet hätte, die wissen, was es heißt, "abgewiesen zu werden...". Gedichte wie dieses werden die Männer im Hafen niemals lesen und vielleicht gerade deshalb fühlt Burnside sich ihnen nahe. Zentral für den ganzen Band ist das abschließende Langgedicht, das dem ganzen Band seinen Titel gegeben hat: "Versuch über das Licht". Eine weit ausholende lyrische Meditation über nichts weniger als das Leben und Sterben, in der alles beginnt und endet mit dem Licht. "Manche sagen, wir dürfen wählen,/ ist der Augenblick gekommen... Ich aber würde die kleine Straße nehmen, draußen/ am See: ein Teichhuhn im Schilf, Morgenröte,/ und niemand hinter mir, der immer wieder ruft:/ geh ins Licht/ Edelgeborener,/ geh ins Licht." (Übers.: Ian Gailbraith)
Carl Wilhelm Macke
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Versuch über das Licht
John Burnside
Hanser (2011)
Edition Lyrik Kabinett ; 19
133 S.
fest geb.