Granatsplitter

Der Autor fiktionalisiert in diesem Buch seine Jugenderlebnisse, die er bezeichnenderweise in der dritten Person erzählt, als ein Schülerleben im nationalsozialistischen Deutschland und als die schwierige Entwicklung einer sich langsam formierenden Granatsplitter Demokratie. Im Zentrum steht "der Junge", wie Bohrer ihn nennt, der zu Beginn des Krieges blitzende Metallstücke sammelt, Granatsplitter, deren Schönheit das Kind fasziniert, auch wenn es deren gefährliche Schärfe in der Hand spürt: "Es war das erste Bild des Kriegs für ihn." Dieser Krieg, das Regime, das ihn führt, und seine Sieger werden das Leben des Kindes und des Heranwachsenden bestimmen. Bohrer beschreibt eindringlich den kultischen Schutzraum der katholischen Kirche, den er verzaubert erlebt, und den Bruch, den der beichtende Jugendliche nach dem Krieg plötzlich erfährt. Er schildert die Courage des Vaters, der vom Regime Verfolgte unterstützt, und die von ihm getrennt lebende Mutter, die in ihrer temperamentvollen Art die sadistischen Quälereien im Internat des Jungen aufdeckt, obwohl ihr Sohn gar nicht davon betroffen ist. Im zweiten Teil kehrt der Junge in dieses Internat zurück, in dem unschwer die humanistische Musterschule des Birklehofs im Schwarzwald zu erkennen ist. Im dritten Teil schildert Bohrer das Befreiungserlebnis des Jungen: der Student reist nach England, lernt dort eine Gesellschaft kennen, die in Würde streiten kann und sich ihrer eigenen Tradition und Kultur sicher ist. - Im ersten Teil gelingt es Bohrer meisterlich, das Empfinden und das ästhetische Erwachen des Kindes zu schildern, das er selbst war. Im zweiten Teil sind die Beschreibungen der Theatererlebnisse im Birklehof manchmal etwas langatmig. Trotzdem hat der heute in London und Paris lebende Literaturprofessor und langjährige Herausgeber der Zeitschrift "Merkur" eine fesselnde Erzählung geschrieben, den Entwicklungsroman eines deutschen Intellektuellen.

Alois Bierl

Alois Bierl

rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

Granatsplitter

Granatsplitter

Karl Heinz Bohrer
Hanser (2012)

314 S.
fest geb.

MedienNr.: 373072
ISBN 978-3-446-23972-2
9783446239722
ca. 19,90 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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