Ein Abend bei Claire

Mit dem 1947/48 veröffentlichten, erst 2012 ins Deutsche übertragenen Roman "Das Phantom des Alexander Wolf" (BP/mp 12/888) hat der russische Exilschriftsteller Gaito Gasdanow (1903-1971) literarische Maßstäbe gesetzt. Das nunmehr vorliegende, Ein Abend bei Claire bereits 1929/30 entstandene Buch ist in seiner künstlerischen Qualität vergleichbar. Denn er erweist sich erneut als virtuoser Erzähler, der zäsurlos erinnerte Episoden mit intensiven Selbstbeobachtungen verbindet. Ein kunstvoll-filigranes Textgeflecht entsteht, dessen Poesie und Expressivität durch die einfühlsame Übersetzung hervorgehoben werden. Im Mittelpunkt steht der von Gasdanow subtil porträtierte Gymnasiast Kolja, der als Ich-Erzähler agiert und autobiografisch angelegt ist. 1903 in St. Petersburg geboren und zunächst wohlbehütet aufwachsend, gehört der Tod des Vaters, als er acht Jahre alt ist, zu jenen Erlebnissen, mit denen er sich Jahre später noch immer auseinandersetzen muss. Auch die schicksalhafte Begegnung mit Claire beeinflusst den Heranwachsenden, der "von Eindrücken und Empfindungen" erfüllt ist und "zwischen Wirklichem und Eingebildetem" kaum unterscheiden kann. Seine eigentlichen Lehrjahre beginnen während des russischen Bürgerkriegs: 16-jährig meldet er sich aus Neugier als Freiwilliger und lernt das Verhalten von Menschen kennen, die sich in psychischen und physischen Ausnahmesituationen befinden. - Der sich an der klassischen russischen Erzähltradition orientierende Roman ist allen Büchereien sehr zu empfehlen. (Übers.: Rosemarie Tietze)

Kirsten Sturm

Kirsten Sturm

rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

Ein Abend bei Claire

Ein Abend bei Claire

Gaito Gasdanow
Hanser (2014)

188 S.
fest geb.

MedienNr.: 396761
ISBN 978-3-446-24471-9
9783446244719
ca. 17,90 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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