Die Kunst, Küsse zu schreiben
Sind leidenschaftliche Liebesbriefe gleichsam Küsse auf Papier? Dieses Thema fasziniert den literaturkundigen und in der Musikgeschichte bewanderten Schriftsteller D. Hildebrandt. Er lässt den Liebesbrief mit dem Apfel, den Adam Eva schenkt, beginnen und spannt den Bogen bis zum angebissenen Apfel der Firma Apple. Seine Beispielsammlung reicht dann allerdings bloß bis in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Die brennende und dann verlöschte Fackel von Hero und Leander lässt er als Liebessignal aus der Antike bis zu uns leuchten. Minnelieder mit ihrem Spannungsverhältnis zwischen Verlangen und bloßem Huldigen, Liebeszettel aus mittelalterlichen Städten, Liebessonette und auch Liebe im Gefüge der Ehe formuliert vom Reformator Luther werden fachkundig, einfühlsam und mit einem Schuss Humor vorgestellt. Detektivisch wird nach der Identität von Beethovens "unsterblicher Geliebten" gesucht und fast schon genüsslich Schillers Doppelliebe zu zwei Schwestern beleuchtet. So wird das Buch in gewisser Weise zu einer Kulturgeschichte, in der auch das aufkommende Postwesen behandelt wird. Dem Leser sei geraten, das Vorwort erst zuletzt zu lesen, weil die 23 Kapitel mit ihrer frischen, lebendigen Darstellung und der manchmal saloppen Sprache mehr Spaß machen.
Bernhard Grabmeyer
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Die Kunst, Küsse zu schreiben
Dieter Hildebrandt
Hanser (2014)
408 S. : Ill.
fest geb.