Sozusagen Paris

Das ist ohne Übertreibung einer der besten Liebesromane der letzten Jahrzehnte. Die Grundidee ist ebenso genial wie einfach. Eine Frau lässt sich vom Ich-Erzähler nach seiner Lesung ein Buch signieren. Sie ist seine Jugendliebe. Inzwischen sind Sozusagen Paris 30 Jahre verstrichen, sie, Jutta, ist Bürgermeisterin in einer Kleinstadt, unglücklich mit einem Arzt verheiratet; er, getrennt lebend, ist erfolgreicher Autor. Beide nehmen sich Zeit für ein rundum platonisches Nachtgespräch. Das hat es aber in sich. Es geht um Sehnsucht und Liebe, Ehe und Sex, Familie und Partnerschaft. Kermani inszeniert gender trouble, Rhetorik der Überrumpelung und Paradoxie des Sprechens über Liebe so geschickt, dass man versucht ist, manche Stellen mehrfach zu lesen, um hinter ihr 'Rezept' zu kommen. Was macht diesen Liebesroman so clever? Vielleicht ist es der Ort: Denn die Liebenden sitzen vor Juttas Bücherregal, und so kann ausgiebig auf den Liebesvorrat der Weltliteratur zurückgegriffen werden, vom Hohelied über Stendhal bis Proust. Dazu kommt in reflexiven Einschüben, als Stimme der kritischen Vernunft, der Lektor des Autors, der sich beschwert, wenn die Phantasie des Erzählers durchgeht und Unwahrscheinlichkeiten der Handlung erzeugt. Ein Liebesroman über die Irritationen und Slapsticks beim Erzählen von der Liebe: Selten hat ein Gegenwartsautor so klug, so ironisch und trotzdem einfühlsam, ja liebevoll über die "Liebe" geschrieben.

Michael Braun

Michael Braun

rezensiert für den Borromäusverein.

Sozusagen Paris

Sozusagen Paris

Navid Kermani
Hanser (2016)

283 S.
fest geb.

MedienNr.: 586527
ISBN 978-3-446-25276-9
9783446252769
ca. 22,00 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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