Die Wildnis, die Seele, das Nichts
Nachdem der Philosoph Michael Hampe vor Jahren bereits Bücher wie "Tunguska oder Das Ende der Natur" (BP/mp 12/13) und "Das vollkommene Leben" (BP/mp nicht bespr.) vorgelegt hat, bedient er sich ähnlicher Herangehensweise im vorliegenden, von ihm als "philosophischen Roman" charakterisierten Werk. Die Leser/-innen erwartet keine stringent argumentativ aufgebaute Philosophie des Natur-, Seelen- und Existenzbegriffs, sondern ein intellektuelles Leseabenteuer mit zahlreichen Reflexionen, Argumenten und Erzählmomenten. Der Verleger und Anglist Aaron Fisch arbeitet an einem Buch über einen früh verstorbenen Lyriker und Philosophiestudenten namens Moritz Brandt. Darin enthalten sind u.a. die drei für das Buch namensgebenden zentralen Aufsätze über "Die Wildnis", "Die Seele" und "Das Nichts". Die Leser/-innen nehmen Teil an den Gesprächen zwischen Fisch und seiner Künstlichen Intelligenz "Kagami" (von der es im Übrigen heißt, sie habe ihm schon mal ihre "weibliche Benutzeroberfläche" zu Verfügung gestellt), die für Fisch über Moritz Brandt recherchiert hat. Wie finden wir das wirkliche Leben? Im Rückzug in unberührte Natur? In der Unsterblichkeit nach unserem Tod? Durch das Leben unserer Kinder? Je mehr Fisch sich in diese Fragen vertieft, desto häufiger fragt er sich: Woher kommt der Wunsch, sich zu verwandeln, wirklich zu werden? Diese Frage ist im Wechselspiel aus konkreten Erzählmomenten, Gesprächen und philosophisch abstrakter Reflexion Leitmotiv des Buches. Denkwege und Antworten sind den philosophisch kundigen Leser/-innen nicht neu. Allerdings sorgt der Handlungsrahmen - das Szenario einer in Bürgerkrieg und Umweltkatastrophen zerfallenden Gesellschaft - für eine unmittelbare Nähe zur Gegenwart, die den großen Reiz der Lektüre ausmacht. Ein empfehlenswerter philosophischer Roman für anspruchsvolle Leser/-innen.
Helmut Krebs
rezensiert für den Borromäusverein.
Die Wildnis, die Seele, das Nichts
Michael Hampe
Carl Hanser Verlag (2020)
411 Seiten : Illustrationen
fest geb.