Irische Passagiere
Richtige Entscheidungen führen nicht immer zu guten Geschichten, heißt es einmal in diesem Band. Die neun Kurzgeschichten in Richard Fords neuem Prosaband "Irische Passagiere" - der Originaltitel "Sorry for Your Trouble" ist genauer - bestätigen das im Umkehrschluss. Gut in die Gänge kommt jede Geschichte erst, wenn die Hauptfigur, meist ein Mann im besten Alter mit irischen Wurzeln, sich gerade eben noch zu einem klugen, altersgerechten Entschluss aufraffen kann. Da ist er aber schon in Versuchung geführt worden. Ford hat das geschickt arrangiert. Da ist der Jurist aus New Orleans, der nach 35 Jahren auf einer Kollegenversammlung seine Jugendliebe wiedersieht. Leicht beschwipst gehen sie spazieren, nähern sich an, die Frau macht eindeutige Avancen, doch lässt ihn im Hotel stehen. Ein anderer Protagonist fährt von Wales nach Dublin, um seine Scheidung abzuwickeln. Drei ausgelassene Amerikanerinnen, die mitfahren, bändeln mit ihm an. Doch angekommen, lehnt er ihr Angebot ab, mit ihnen ins Konzert zu gehen. Es sind ungenutzte kleine Gelegenheiten und große Verluste, die Ford seinen wankelmütigen Helden anhängt. Er bewahrt sie vor dem Absturz ins Lächerliche oder Tragische. Aber er lässt sie mit ihren Sorgen allein. Was passiert, wenn sich jemand entscheidet, das zu tun, wozu ihm Erfahrung und Vernunft raten, nicht aber Gefühl und Neigung? Wozu hätte ein Schritt vom Wege denn überhaupt führen können? Richard Ford gibt dem Leser keinen moralischen Kompass mit, aber genug Hinweise darauf, dass Anfechtungen und Versuchungen die Menschenwürde nicht verletzen, sondern überraschend stärken können. Wenn man sie nur rechtzeitig wahrnimmt! Lohnenswerte Lektüre.
Michael Braun
rezensiert für den Borromäusverein.
Irische Passagiere
Richard Ford ; aus dem Englischen von Frank Heibert
Hanser Berlin (2020)
285 Seiten
fest geb.